Freitag, 25. Mai 2012

Ukrainisches Wochenende

Auch wenn die Fussball EM mit all ihrem Jubel und Trubel unaufhaltsam näherrückt, so wirft doch das jüngste Bild von Europas letzter intakter Diktatur einen düsteren Schatten auf den EU- Anwärter. Der demokratische Engel in Ketten Julia Timoschenko entzündet medial den Diskurs ob man die EM boykottiert oder nicht. Nun ist dies ein bedauerliches Beispiel mit besonders symbolträchtiger Tragweite und politischer Aussagekraft. Allein für eine Aussage über die Ukraine und seine Bevölkerung sollte es nicht reichen. Aber was weiß man schon von der Ukraine? Als ehemaliger Sowjet- Satellitenstaat dümpelt es seit dem Zusammenbruch wirtschaftlich so vor sich hin, mit der Etablierung einer munteren Oligarchie, aber das hätte man auch über jeden anderen russischen Staat geschrieben, nicht sehr tiefsinnig. Nun gut die Intention, die Ausstellung von Boris Mikhailov in der Berlinischen Galerie zu besichtigen und sich ukrainischen Swing von Trio Scho anzuhören, war nicht unbedingt, die politische und soziale Situation anhand dessen zu analysieren.

Vielmehr war es so, dass der Kunsthistoriker N. A. der die Interessierten durch die Kunstsammlung der Deutschen Bank führt, inbrünstig auf die Ausstellung verwies. Letztendlich aber war die Lektüre der Zitty über die beliebtesten Berlin Feindbilder ausschlaggebend, Boris Mikhailov - Time is out of joint Fotografien 1966 - 2011 zu besuchen. Generell kann man nach dem Betrachten des Sujets sagen: Früher war nicht alles schlecht, nein es schien größtenteils richtig mies gewesen zu sein. Mikhailov zielt in seinen Fotografien darauf ab, kunstvoll die Gesellschaft im Zeitgeist widerzuspiegeln. Humorvoll, berührend, schockierend und vor allem wahrhaftig - jedes seiner Bilder trifft eine Aussage. Seine Serie "Sots", Schwarzweissbilder nachcoloriert - mit besonderen Akzenten: Aus strahlenden maschierenden Funktionären werden mittels übersteigerter Farbgebung Clowns. In seinen komponierten Bildern, mochten sie die abgebildete Realität auch verzerren, wurde durch Mikhailovs Komposition die Wahrheit offenbar. Ein junges Pärchen im Blumenfeld wird überlagert mit einer subtilen roten Jugendmasse. Eine Hauswand bekam buchstäblich ein Ohr beim Gespräch zweier Herren. "Case history" wiederum war eine eindringliche, expressive Fotoserie aus den 90er Jahren nach Zusammenbruch der Sowjetunion: Obdachlose, gesellschaftliche Außenseiter entblößen ihre kranken, geschundenen Körper in Überlebensgröße. Mikhailov gelingt es in jeder seiner Serien kritische Aussagen zu treffen und diese in zeitgenössische Kunst auszudrücken.

Auch wenn der Anspruch weniger gesellschaftskritisch war, Trio Scho und ihr Russa Nova sind durchaus aussagekräftig. Beschwingt-schmissig, musikalisch kosmopolitisch und dabei stets sich der kulturellen Wurzeln bewusst, präsentierten die sympathischen Ukrainer aus Berlin russisch/ukrainische Folklore, Chanson und Bossa Nova - auf russisch in dem charmanten Prenzelberger Cafe Lyrik. Ihre "selbstgebrannten" Lieder klingen heiter wie "Leta" - Sommer und derb wie "Stroganoff". Daneben spielten sie unvermeidliche Klassiker wie "Podmoskovnye Vechera" (singen irgendwie alle - Helene Fischer, Ivan Rebroff, Schwarzmeer Don Kosaken Chor), aber auch Chansons wie "Nathalie" - eine Reminiszenz an die Pariser Zeit von Trio Scho oder als  französisch - russisch Synthese den Chanson "Marquise" en russie. Pflegten sie mit ihren Liedern das musikalische Erbe der Ukraine und Russlands, verwiesen sie gleichzeitig mit dem kulturellen Crossover ihrer "Selbstgebrannten" auf eine kulturelle Entwicklung.
So unterhaltsam das Konzert war und die Musiker seit 20 Jahren in Berlin weilen, so demonstrierten sie doch eine unleugbare Tatsache, nämlich dass die Ukraine kulturell mitten in Europa liegt und damit durchaus eine Berechtigung als Austragungsort der Fußball-EM und vielleicht sogar als Anwärter auf die EU-Mitgliedschaft vorweisen kann. Etwas anderes sind die gesellschaftlichen Verhältnisse und Problematiken auf die die Bilder von Mikhailov verweisen. Sie zeigen deutlich, dass Menschenrechte nicht wegen einer einzigen Person gebrochen werden, sondern dass es um große Gruppen innerhalb der Gesellschaft geht. Dieses Problem ist natürlich nicht speziell ukrainisch, aber ein Aspekt der im Diskurs um einen Fußballboykott wegen Menschenrechtsverletzung in der Ukraine medial wenig präsent ist.

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