Samstag, 23. Juni 2012

Politik aus der Gesellschaft heraus - Eröffnung des Governance Center Middle East | North Africa

Mitte.JS Es soll kein weiteres Think tank sein, dass mit Gutachten, Kamingesprächen und Symposien gute Ratschläge an die Regierenden weitergibt, die dann bei der Entscheidungsfindung nivelliert werden. Es geht darum innerhalb der Gesellschaft die Diskurse mitzugestalten, Denkanstöße innerhalb der öffentlichen Diskussion zu geben und als gesellschaftlicher Akteur zu versuchen die Welt zu verbessern "denken.handeln.wirken" - so beschrieb die Präsidentin des Instituts, Frau Gesine Schwan, Auftrag und Aufgabe der School of Governance in ihrer Eröffnungsrede. Hierfür berichtete sie stolz von den bisher erreichten Projekten, wie beispielsweise der Zusammenarbeit mit afghanischen zivilgesellschaftlichen Akteuren. 

Anschließend führte der Leiter des Governance Centers Middle East | North Africa  Prof. Dr. Udo Steinbach den Diskurs  von der Arbeit des Governance Centers auf das Thema des Abends "Chancen für Freiheit und Demokratie in Nordafrika und dem Nahen Osten". Hierfür gab er dem zahlreichen Publikum einen allgemeinen einleitenden Überblick über die Entwicklung des Arabischen Frühlings und stellte die Ereignisse der letzten anderthalb Jahre in den historischen Zusammenhang mit den arabischen Revolutionen seit den Fünfzigerjahren, angefangen bei Jamal Abdel Nasser. Seine Einführung abschließend, stellte er die interessante vorläufige These auf, dass bis zum gegenwärtigen Moment in der Dynamik der aktuellen arabischen Rebellionen die Synthese aus Demokratiebestrebungen und religiös-kultureller Identität versäumt wurde und diese beiden Faktoren sich bis heute gegenseitig behindern.

Prof. Dr. Peter Eigen, Gründer von Transparency International setzte in seinen Begrüßungsworten den Akzent auf die Notwendigkeit der Korruptionsbekämpfung beim Policy building. Er verwies  dabei auf die Zusammenarbeit mit Jordanien. In der eigentlichen Podiumsdiskussion wurde die Entwicklung der arabischen Rebellion anhand der Beispielländer Marokko, Tunesien, Algerien und Ägypten spezifiert. Hierfür waren als Referentinnen Dr. Hala El-Hawari, frisch aus Kairo eingetroffen, Dr. Sonja Hegasy, sowie PD Dr. Sigrid Faath als Gesprächspartnerinnen eingeladen. Die Bilder und Perspektiven hätten unterschiedlicher nicht sein können.  

So wurde die Lage in Algerien als sehr gedämpft beschrieben, die Schrecken des Bürgerkrieges in den Neunzigerjahren seien noch zu sehr präsent, als dass die Bevölkerung stärkeren Widerstand proben würde. Auch in Tunesien würden sich die Reformbestrebungen ins Gegenteil verkehren. Sigrid Faath zog hierfür Tunesiens Pressefreiheit als Beispiel herbei. Im Gegensatz dazu zeigte sich Sonja Hegasy, Vizepräsidentin des Berliner Zentrums Moderner Orient, über den Reformprozess in Marokko zuversichtlich, setzte aber die politische Dynamiken in den Zusammenhang mit einem längerfristigen Politikprozess, unabhängig vom arabischen Frühling. 

Hala El-Hawari konnte als ägyptische politische Aktivistin aus der unmittelbaren Erfahrungsperspektive berichten. Sie identifizierte sowohl das gegenwärtige Militärregime wie auch die Muslimbrüder als Produkt der alten Regierung und Hemmnis demokratischer Bestrebungen. Auch die Rolle der Medien bewertete sie aus ihrer praktischen Erfahrung als interessenorientiert, insbesondere die Glaubwürdigkeit staatlicher Medien zog vehement in Zweifel. Sie bezog eindeutige Position und plädierte für die Rolle der säkularen, non-militaristischen (vielleicht linken?) Akteure als zentrale Kraft im positiven Demokratisierungsprozess. 

Insgesamt waren die Aussagen der Referentinnen mit wenig neuen Erkenntnissen verbunden. Dafür kamen in der späteren Diskussion diverse Fragen und Positionen, die höchst interessant waren: Wie kann man von einem arabischen Frühling reden? Die Revolutionen in den einzelnen arabischen Ländern würden doch sehr unterschiedlich verlaufen. Dagegen erhob sich die Meinung, dass es wohl ein gemeinsamer Arabischer Frühling sei. Alle Bevölkerungen seien Arabisch und die Probleme aller Länder sind postkolonialen Ursprungs. Weniger ideologisch, wenn auch mindestens ebenso brisant war die Aussage und Frage eines arabischen Journalisten: Europa hat bis zuletzt die jetzt gestürzten Machthaber unterstützt. Wird Europa die Demokratiebestrebung irgendwie unterstützen? Diese Frage wurde und konnte nicht hinreichend beantwortet werden. Sie ist aber eine Frage an die Zukunft dieses frisch gegründeten Governance Centers Middle East | North Africa. Wird dieses Institut das mittels denken, handeln, wirken in Form von direkten Projekten vor Ort „Politik aus dem Volk heraus“ machen möchte, als ein politischer Akteur in der Lage sein, die Transformationsländer des arabischen frühlings direkt und adäquat zu unterstützen. Es wäre wünschenswert denn ein weiterer Think Tank, der Akteursanalysen, Symposien, Gutachten, Kamingespräche, Empfehlungen  et cetera produziert, davon gibt es wahrlich genug.
  

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