Donnerstag, 12. Juli 2012

Libysche Wahlen in Berlin


Prenzlauer Berg.JS Der libysche junge Mann humpelt in unsere Wahlstation. Ich begrüße ihn freundlich auf Arabisch und heiße ihn willkommen, bevor ich ihn darum bitte, mir seinen rechten Zeigefinger zu zeigen. Verunsichert kramt er in seinen Taschen nach seinem Reisepass. Er ist irritiert, weil ich als Deutscher mit ihm Arabisch spreche und weil ich, warum auch immer, seinen Zeigefinger sehen möchte. Ich überlege, wie ich ihm den Grund erkläre, da hilft mir unser Station Manager Mansour, Muttersprachler, der ihm erklärt dass ich wirklich den Zeigefinger und nicht den Reisepass sehen möchte. Nur so können wir prüfen, ob er bereits gewählt hat. Ich arbeite als Queue Controller bei der Libyschen Wahl. 

Vom 3. bis zum 7. Juli trafen in eine bis vor kurzem noch verlassene Schule im Prenzlauer Berg am Rosa Luxemburg Platz eine Vielzahl von Libyern aus der ganzen Bundesrepublik ein, um für die ersten freien libyschen Wahlen ihre Stimme abzugeben. Berlin war neben London, Ottawa, Amman, Dubai und Washington DC eine der Stationen für das Out of Country voting. Jetzt, gut ein Jahr nach Sturz von Gaddafi, macht das libysche Volk seine erste Wahl seit über 40 Jahren, de facto also für Viele die erste Wahl überhaupt im Leben.

by J. Tahawokh
Für die Libyenwahlen in Berlin rekrutierte die International Organisation for Migration 34 Wahlhelfer, die nach einem intensiven Training die Wahl unterstützten. Einer davon war ich. Neben Libyern stammten die anderen Wahlhelfer aus dem Jemen, Ägypten, Marokko, Palästina und Jordanien. So erfuhr man interessante Geschichten und Einblicke, mit denen ich mich zuvor nur im Studium auseinandergesetzt hatte und nebenher lernte ich dadurch noch ein hervorragendes palästinensisches Restaurant "Ya Hala" im Wedding kennen. 

by J. Tahawokh
Die ersten drei Tage verbrachten wir mit einem umfangreichen Training. Ausführlich wurden wir zuerst mit dem Wahlsystem vertraut gemacht. Wir lernten, übten und simulierten sowohl den Wahlgang wie auch das, fast noch wichtiger, spätere Zählen. Nachdem kontrolliert wurde, ob der Wähler bereits gewählt hat, mussten die Wähler beim Registrieren ihre Identität  und ihre libysche Staatsbürgerschaft nachweisen. Daraufhin wurden Sie zu ihrem Wahlkreis befragt und erhielten dann ihre Stimmzettel, die mit Nummern wie beim Bingo bedruckt waren. Anhand von den jeweiligen Listen zum Wahlkreis mussten sie die Nummern mit ihren Kandidaten und Parteien abgleichen und ankreuzen. An der Wahlurne mussten sie schließlich ihren rechten Zeigefinger in Tinte tauchen, bevor sie ihren Zettel in die Urne warfen.

Am ersten Tag wurde die Berliner Libyen-Wahl mit großem Interesse von journalistischer Seite verfolgt, so dass die Quote der Reporter am Morgen des ersten Wahltages deutlich über derjenigen der Wähler lag. Jeder einzelne Wähler wurde von den Journalisten gebeten, ihn interviewen und Fotos machen zu dürfen. An diesem Tag wurde für die Wahlkommission in Libyen ein Video in unserer Wahlstation vom ersten Wähler bei seinem Urnengang gedreht. Tags darauf kamen meine Vorgesetzten Liane und Aleksandra grinsend auf mich zu und erzählten mir, dass ich in Tripolis jetzt „ein Star“ wäre, sowohl mein Name wie auch mein Gesicht seien inzwischen bestens bekannt bei der Wahlkommission und den Vertretern der UN in Tripolis. Zwei Tage später kam ein Mann in unsere Wahlstation, erblickte mich und strahlte: „Das ist doch der Deutsche aus dem Fernsehen!“ Anscheinend wurde das Video im libyschen Fernsehen ausgestrahlt mit dem Kommentar, wie glücklich an darüber sei, dass die Bundesrepublik Deutschland Libyen bei dieser Wahl unterstützt.

Nachdem am ersten Tag die Wahlgänger noch sehr vereinzelt erschienen, steigerte sich die Zahl bis zum finalen Wahltag am Samstag stetig. Familien kamen, Kinder und Kinderwagen wurden mit der neuen, alten libyschen Flagge verziert. Fast jeder ließ sich, während er seine Wahlzettel in die Urne warf, mit seiner Handykamera fotografieren und reckte stolz seinen gefärbten Finger in die Luft. Sehr berührend waren die Momente, wenn die Wahlstation von Kriegsverletzten besucht wurde, die hier in der Charité und anderen Krankenhäusern in Deutschland behandelt wurden. Etliche junge Männer kamen mit Armprothesen, an Krücken und im Rollstuhl um ihre Stimme abzugeben. Ein Mann brach nach seiner Stimmabgabe in Tränen aus und konnte sich für Minuten nicht beruhigen. Er lachte und strahlte während die Tränen seine Wangen hinunterliefen. Noch eine andere Geschichte machte die Runde durch das Wahlzentrum. Ein Mann war aus Bratislava 1400 Kilometer gefahren, um seine Stimme abzugeben. Er wurde unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt. Er war mit seinem Unterlagen gekommen, die zwar seine Identität bestätigten, nicht aber seine libysche Herkunft. Er muss wohl sehr erbost über diese Entscheidung gewesen sein und drohte hierüber Meldung machen zu wollen. 

Am Samstag, dem letzten Tag der Wahl, kamen an die 500 Libyer aus der gesamten Bundesrepublik  zum Wählen. Irgendwie kannten sich alle, man kam sich vor wie bei einer großen Familienfeier. Um 18 Uhr wurden die Wahllokale geschlossen und wir bereiteten uns auf das Auszählen der Stimmen vor. Nach 19 Uhr kam aber noch eine Gruppe Libyer extra aus Frankfurt am Main angereist, die unterwegs im Verkehr stecken geblieben waren. Sie waren äußerst verärgert, nachdem sie erfuhren, dass sie keine Möglichkeit zur Wahl mehr hatten. Das Sicherheitspersonal, Männer wie Kleiderschränke, hatte alle Hände voll zu tun. Zu guter Letzt kam der oberste Verantwortliche von der libyschen Wahlkommission und redete mit der Gruppe, die daraufhin irgendwann abzog.

Die Zählung, ein besonders wichtiger und sensibler Moment, verlief hingegen sehr erfolgreich. Alle Zahlen stimmten, alle Wahlzettel lagen vor und wir waren nach Mitternacht soweit fertig: alle Wahlzettel ausgewertet, alle Formalitäten ausgefüllt und alle Materialien, wie Stimmzettel, Registrierungsbücher, formgerecht verpackt und abreisefertig nach Libyen. 

Nun müssen wir abwarten, wie die Wahl insgesamt verlaufen ist. Es bleibt die große Hoffnung, dass das libysche Volk mit dieser Wahl einen ersten wichtigen Schritt zu einer stabilen, demokratischen Regierung gemacht hat.

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