Montag, 27. August 2012

Whisky, Tartan und Haggis – Jenseits von Edinburgh


Whisky, Tartan und Haggis – Jenseits von Edinburgh

„Wir fliegen jetzt nach Edinburgh – gibt es hier jemanden, der nicht dort hin will?“ gellt die martialisch-galante Stimme der Stewardess durch das Bordmikrofon. Passagierliste und Anzahl der tatsächlichen Passagiere stimmten noch nicht überein. Wir wollen nach  Schottland und irgendwann nach einer nicht näher zu erläuternden Odyssee kommen wir an.
     
1. Station: Edinburgh


Edinburg, Edinboro, Edinborrow, Edinborough – Die Aussprache dieser Stadt ist längst nicht so simpel und eindeutig wie man denken könnte. Fast ebenso vielfältig ist das kulturelle Angebot, das sich gegenwärtig auf den Bühnen, Straßen und Plätzen abspielt. Jetzt Mitte August quillt die Stadt vor lauter Festivals geradezu über. Zwischen den gotischen Bauwerken verzaubern Straßenkünstler die Passanten, Schauspieler machen imposantes Live acting mitten auf der Royal Mile. Ein Halbnackter ist komplett mit Rasierschaum bedeckt. Das große Drama mit Liebestod und Weltschmerz findet zwischen Fish’n‘Chips-Bude und Cafe statt. Kafkaeske Szenen mit Folter durch Bürokratie begegnen uns genauso wie der traditionelle Schotte im Kilt. Die Stadt bietet mit ihrer gotischen Silhouette dafür das perfekte Bühnenbild.

Zwischendurch fällt uns die City of the dead-Tour ins Auge, die uns sehr reizt. Kurz vor Neun versammelt sich eine Traube von Menschen an der Saint Giles Kathedral. Kara, eine hübsche, wenngleich auch mit erfrischendem Dachschaden ausgestattete Schottin mit Folterexpertise und Spice Girls-Affinität, führt uns Touristen durch die Straßen der Altstadt und informiert uns anschaulich über alt-edinburgher Quälspezialitäten mit Beispielen. Wir landen auf dem Greyfriar Friedhof mit der berühmten Terrierstatue von dem noch berühmteren Terrier Bobby. Ihre Abneigung gegen dieseTouristenattraktion war offenkundig. 
 
Schnurstracks räumt sie mit dem romantischen Legendenkitsch über diesen treuen Hund auf und begeistert die Menge dann doch mehr mit den Gräbern der Leichenräuber Burke und Hare. Höhepunkt der Friedhofsbegehung bildet das Grab von Bloody McKenzie, einer blutrünstigen Berühmtheit, die auch noch heutzutage als Poltergeist beruflich aktiv ist. Selbstverständlich lernen wir den versierten Touristenschreck noch persönlich kennen, eine sehr bemerkenswerte Konfrontation im ehemaligen Mausoleum…

Noch eine Sache: Harry Potter, der Leseanimator unserer kulturfernen Jugend, ist in Edinburgh quasi überall unbewusst präsent. In der Nähe vom Friedhof stolpert man fast über das Elephanthouse, in dem Frau Rowling den ersten Roman mit einem Wegwerfkuli auf Papierservietten notierte. Ihre Inspirationen sind auf Schritt und Tritt nachzuvollziehen. Nicht nur Hogwarts springt einem geradezu ins Auge, es wird einem geradezu mulmig, wenn man das Grab von Tom Riddle sieht. Surreal anmutend war der Moment, als ich in einer der Statuen an der Princess Road Professor Quirrel /Voldemort aus dem "Stein der Weisen" wiedererkannte.

Bevor die Fahrt per Scotrail in den Norden geht, machen wir noch einen Ausflug zur Rosslyn Chapel, ein paar Meilen vor Edinburgh. Genau- kennt man aus dem "Da Vinci Code". Vorab, Gral und ewige Jugend haben wir dort nicht gefunden, aber wir essen Scones und Kaffee, die auch sehr gut sind. Wir erfuhren, dass diese grenzwertige, aber ungemein unterhaltsame Geschichte vom heiligen Gral und dem Kampf der Freimaurer gegen die Kirchenmafia aka Opus dei und natürlich Tom Hanks und Audrey Tautou bewirkt haben, dass diese entzückende kleine Kirche von ca. 4000 Besuchern pro Jahr auf weit über 100000 pro Jahr heimgesucht wird. Die Atmosphäre in und um die Kirche herum ist wirklich etwas besonderes, es ist nur fraglich ob sie von den wunderschönen, ausgefallenen, teilweise sehr rätselhaften Figuren herrührt oder ob nicht vielleicht doch irgendwo dieser ominöse, als heilsbringend verschriene Letzteabendmalbecher verbuddelt ist.

Haggis:
Jeder warnt davor – zu Unrecht! Wer als Deutscher über Haggis die Nase rümpft, sollte sich erstmal in seiner eigenen Wursttheke umgucken. Dampfend teilt sich im „the Advocate“ Haggis, Kartoffelstampf und Steckrübenpüree mit Whiskybratensoße und geschmacksneutralen Haferkeksen den Teller. In der Mitte ruht ein Kännchen mit Whiskybratensoße. Ringsum wurde der Mansch mit Haferkeksen dekoriert. Erster Bissen vom Haggis: freudige Wiederbegegnung mit Kindheitserinnerungen. Westfälischer Wurstebrei ist nichts anderes. Allerdings ist dieser ein bisschen feiner durch den Wolf gedreht. Beim Haggis hat man das Vergnügen, die einzelnen Fleischkomponenten durch das Mouthfeeling  ertasten zu können: hier ein Stück Lunge, da vielleicht ein bisschen Leber oder Niere? Okay, besser nicht drüber nachdenken, aber köstlich ist es!  

2. Station: Pitlochry
Irgendwo vergessen zwischen Perth und Inverness zu Füßen der Highlands liegt Pitlochry, sehr überschaubar und wild-romantisch zwischen Wäldern und Bergen am Fluss Tummel - also quasi am Busen der Natur. Sehr beeindruckend ist beim abendlichen Spaziergang die Salmon Ladder am Staudamm des Flusses. Zwar gibt es keine Lachse zu sehen, die diese imposante Treppe benutzen, auf dem Damm ist der Anblick des Flusses aber unvergesslich: Während auf der einen Seite die wilden Wassermassen tosen und der Fluss im reißenden Strom unter dieser charmant-schwankenden dünnen Brücke fließt, ist er auf der anderen Seite wahrhaftig spiegelglatt. Die Fledermäuse fliegen über der Wasseroberfläche und versuchen ihr Spiegelbild zu überholen, während die Berge und die Wolken auf dem Wasser ein großartiges Bild abgeben. Bei diesem Anblick bleibt man nicht kalt.

Es ist platt, zwischenmenschliche Eindrücke zu generalisieren, aber während die Menschen, die wir in Edinburgh getroffen haben, quirlig und ein wenig verrückt waren, sind die Menschen hier herzlich und vor allem so verdammt tiefenentspannt. Wahrscheinlich haben sie genauso einen arbeitsreichen Tag wie alle, aber dieses direkte Naturerleben vor der Haustüre scheint die Yogaübung schlechthin zu sein.

Schottlands kleinste Scotchbrennerei

Der zweite Tag in Pitlochry beginnt klischeehaft und wie bestellt: Es regnet Cats und Dogs und der dichte Nebel hängt zwischen den Bäumen. Diese Umstände hindern uns jedoch nicht daran, per pedes einer der beiden Distillerien, Bell’s Blair Atholl und Edradour, zu besuchen. Am Abend zuvor haben wir uns an der Hotelbar mit Entscheidungshilfe für den Edradour entschieden, Schottlands kleinste Destillerie. Was soll man schreiben: Der Weg ist das Ziel - durch Schmadder, Matsch und Modder, durch den Wald, über Weide, querfeldein. Ziemlich patschnass aber glücklich erreichen wir die Destillerie. 
Zu Beginn der Führung gibt es die Whiskyverkostung. Wir bevorzugen den 10 years aus dem Sauternesfass, süß und lecker gegenüber dem normalen 10 years, der ebenfalls süß und lecker ist, wenngleich weniger komplex. Unser Destillerieführer, ein schottischer Christian Kohlund im Kilt, meditiert bei seinen Ausführungen über die Lagerdauer. Vor 10 Jahren standen wir vor dem Abitur, verdammt ist das lang her. Noch ein kurzer Gedanke über das schottische Beinkleid. Der Unterschied zwischen Ausländern im Kilt und Schotten ist überdeutlich. Es scheint eine Frage der Attitüde zu sein ob man aufgrund seiner Geburt schottische Tradition pflegt oder doch nur ein Mann im Rock ist, von denen es auch Berlin ja genug gibt. Der Kilt schmeichelt ordentlichen Waden mehr als beispielsweise unsere Krachlederne.

  1. Station: Inverness
Beschaulich, nett und überschaubar, das ist der erste Eindruck von der Hauptstadt der Highlands. Nach dem Spaziergang flussabwärts des Ness haben wir das Gefühl die Stadt jetzt zu kennen. Zwei Tage hier? Naja…

Durch Inverness führt der Fluss Ness zum berühmten sagenumwobenen Loch Ness. Schlauchförmig ruht der See zwischen den beeindruckenden Bergen der Highlands, die pittoreske Burgruine von Castle Urquhart steht am Ufer. 

Die Schlagsahneberge an Wolken, die über ihn hinweg ziehen, bescheren der Landschaft ein wunderschönes Spiel aus Licht und Schatten auf der Wasser-oberfläche und den umliegenden Bergen. Gefördert wird die Attraktivität durch das legendäre, wenngleich auch äußerst schüchterne Monster von Loch Ness. Der Legende nach soll der heilige Missionar und nebenberufliche Nessie-Dompteur St. Columban das Monster bezwungen haben, nachdem er alle Highlander-Heiden ins Christentum getrieben hat. Das bedauernswerte Tier scheint daraus gelernt  zu haben und sich, wahrscheinlich durch ein Abkommen mit den lokalen Tourismusbehörden daran gebunden, nur alle Jubeljahre vor die Linse einer Kamera zu erscheinen. Diesen Morgen scheint das Tier seinen freien Tag zu haben. Obwohl - während unserer Bootstour mit der „Nessie Hunter“ über den spiegelglatten See haben wir unerwarteter Weise an einer Stelle heftigen Seegang. Es fühlt sich an als ob wir mit dem Tier während seines Aqua-Zumba-Trainings kollidieren würden. Ein Kompliment zum Nessie-Hype: Im Vergleich zu deutschen Touristenmagneten wie dem Rheinischen Drachenfels hält sich der Rummel in den Städten um Loch Ness wie Drumnadrochit doch durchaus im Rahmen.

Bevor wir Inverness frühmorgens den Rücken zukehren, verabschiedet sich die Hauptstadt der Highlands am Abend unerwarteter Weise mit einem wunder-schönen Konzert der Big Band Rooty ma Toot, deren Baßsaxophonist uns zuvor über die Füße steigt mit der Einladung, den Abend im Blackfriars zu verbringen. Das Blackfriars ist ein Bilderbuchpub, inklusive Einrichtung, Getränke und Gäste. Rooty ma Toot mit Julia Keen swingen mit Jazzklassikern (darunter Feeling good, von mir ausgesprochen geschätzt, oder My funny valentine, von meiner Frau bevorzugt) in die Nacht hinein.  

  1. Station Oban:

Wenn wir im Gespräch Einheimischen unsere Rundreise beschreiben, kommen sie spätestens bei Oban ins Schwärmen. Und wirklich, eingebettet zwischen Hügeln und der rauen See, hie und da eine andere Insel, liegt die schottische Meeresfrüchtehauptstadt, wie das grüne Banner über der Schellfischbar wirbt. Die Schellfischbar ist wahrhaftig ein Mekka für hungrige Freunde von Krusten-, Schalen-, und Schuppentieren.  Eine kleine grüne Bude, vor der Kisten mit in Zeitlupe zappelnden Taschenkrebsen stehen. Schon aus hundert Metern Entfernung riecht man den köstlichen Duft von in Supermarktweißwein und Unmengen von Zwiebeln gegarten Miesmuscheln. Junge Burschen öffnen Austern im Akkord. Das Fleisch der Austern zieht sich beim kleinsten Zitronensaftspritzer zusammen. Sie mussten wohl noch am frühen Morgen auf ihrer Bank gedöst haben. Kräftige, rotgesichtige Fischersfrauen bereiten Krabbensandwiches vor, hängen Lachs zum Räuchern in den Räucherofen und arrangieren wunderschöne, üppige Meeresfrüchteplatten, mit Austern, Muscheln, Hummer, Krebsscheren und anderen Köstlichkeiten für die ganz besonders Ausgehungerten. Vertilgt werden diese stehend wie an einer Würstchenbude, unweit von Fischerbooten, bei Wind und Wetter, fernab der Etikette und Petitesse edler Restaurants mit ihrem Muscadet und Vermouth-Reduktionen. Diese Entkrampfung fördert ungemein den Genuss und bezieht das Erleben der Küste direkt mit ein.

So schmackhaft die Meeresfrüchte sind, so beschaulich sind Oban und seine Umgebung. Die Küstenstraße führt vorbei an wilden, blühenden Küstenhängen hin zu der überwucherten, verwunschenen Ruine von Dunollie Castle. Auf einem waghalsig steilen Trampelpfad gelangt man hoch zur Ruine und hat von dort einen atemberaubenden Blick über die Bucht. Unter der Ruine findet man den imposanten Dog Rock, inklusive Geisterhund-Geschichte. Knapp dahinter gibt es einen Sandstrand, der bei strahlendem Sonnenschein bestimmt dicht bevölkert ist.
Ein kurzer Hinweis an dieser Stelle auf das Pseudo-Colloseum, welches über der City von Oban ruht: Hier hat man eine ganz hervorragende Sicht aus der Bucht heraus über die benachbarten Inseln. Allerdings entspricht der Energieverbrauch beim Erklimmen der grobgeschätzten 3 Trillionen Stufen dem Brennwert von fünfmal Backfisch mit Fritten[1].

Was an der schottischen Küste genauso nett ist wie an der deutschen, ist das Schippern auf einem Kutter zu Seehundbänken. Spalierliegend erdulden diese entzük-kenden, leicht adipösen Tiere das Blitz-lichtgewitter. Irgendwie erinnert mich das stark an den Anblick der Berliner Baggerseegestaden sonntags um elf Uhr morgens. Das Kindchenschema (immer wenn der Ausruf „Oh, süß!“ angebracht ist) tröstet allerdings bei den Meeresbewohnern über die Taillenarmut hinweg.

Für die lokale menschliche Taillenarmut mitverantwortlich ist diese entsetzlich gute Oban Chocolate Company an der Küstenstraße. Zwar weiß Schokolade mehrheitsfähig zu überzeugen, aber wenn zum Grundprodukt Schokolade in hervorragender Qualität und Auswahl dann noch Kreativität, Marketingtalent, Geschmack, Charme und ein weitfassendes Verständnis menschlicher Bedürfnisse vorhanden ist, sollte man dies erwähnen.

Ich bekenne an der Stelle meinen mittäglichen Hunger durch Krustentiere und Schokolade gesättigt zu haben, eine Diät, die fürderhin Schwangeren vorbehalten sein sollte.

  1. und letzte Station: Glasgow

Glasgow habe ich mir anders vorgestellt, nicht so düsseldorfig: Furchtbar hip und postmodern, aber sehr reizvoll und eklektisch-schick ist das Nebeneinander unterschiedlichster Epochen und Stilrichtungen des Stadtbildes.

Majestätisch steht die Kathedrale von Glasgow, ein finstergotisches Monument aus dem allertiefsten Mittelalter. Hier ruhen die Gebeine von Sankt Mungo, der wohl wirklich so hieß, in der Krypta. Hinter der Kathedrale liegt die viktorianische Nekropole, die so wunderschön schaurig-romantisch ist wie ein Horrorfilm mit Christopher Lee.

Die Vielzahl der Gebäude in der City von Glasgow stammt aus der Zeit vor der vorletzten Jahrhundertwende. Häuser wie die Stadtkammer künden von wirtschaftlich besseren Zeiten. Prunkvoll und mit mannigfaltigem Zierrat konnte dieses repräsentative Gebäude überzeugen und diente bereits als Filmkulisse für Vatikan und Kreml. Understatement war eben nicht immer gefragt. Einen Steinwurf weiter ist das Goma, das Glasgow Museum of Modern Art, von außen Neoklassizismus, mit Mosaiken und Glas ganz postmodern interpretiert. Innendrin: unter anderem eine Videoinstallation, die eine halbe Stunde lang das Abfackeln einer Zündschnur in einem skurrilen Parcours unter Aufbietung sämtlicher physikalischer Gesetze zeigt. Erinnert an Tom und Jerry.


Ein berühmtes Kind der Stadt ist Charles Rennie Mackintosh. Nein, das ist nicht der Gründer von Apple. Dieser omnipotente Künstler betätigte sich als Architekt, Möbeldesigner, Maler und was nicht alles. Laut Flyer und Reiseführer galt er als Mitbegründer des Art Nouveau. Am bekanntesten ist er für seine extravaganten Stühle mit meterhohen Rückenlehnen. Als erstes fällt uns in der langweiligen, weil austauschbaren, Fußgängerzone das Willow Cafe auf, das mit Mackintosh-Einrichtung ausstaffiert ist. Diese Kaffeepause ist die stylishste dieses Urlaubs und dabei sitzt man merkwürdigerweise nicht einmal unbequem auf diesen Stühlen. Man kommt sich nur ein bisschen wie im Wald vor und das Personal benötigt auch wirklich Pfadfinderqualitäten um sich in diesem Rückenlehnenlabyrinth zurechtzufinden. In der School of Art, die ebenfalls von Mackintosh entworfen wurde, wie man bereits von außen, erst recht von innen, unschwer erkennt, leitet uns eine charmante Museumsführerin durch Gebäude, Werkstätten und die Sammlung. Gedanklich ersetzen wir einige unser Wohnzimmermöbel.

Am nächsten Tag müssen wir entsetzlich früh morgens Glasgow Richtung Flughafen verlassen. Wir haben viele Erinnerungen und Eindrücke im Handgepäck.   


[1] Diese als „fish n chips“ geläufige Mahlzeit ist bekannt aus dem deutschen Englischlehrbuch der fünften Klasse, aber in der Tat uns überall so präsent gewesen wie Döner und Currywurst in Berlin zusammen und das zu jeder Tages- und Nachtzeit; in Pitlochry hätte man diesen schmackhaften und unverdaulichen Snack  im Hotel auch zum Frühstück ordern können.

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