Mitten im Musikfest Berlin2012 präsentierte das
Konzerthausorchester Berlin ein denkwürdiges Konzert am Sonntagabend mit
Isabelle Faust an der Solovioline unter der Leitung von Emilio Pomarico.
Als Hommage an den kürzlich verstorbenen Komponisten Emmanuel
Nunes spielte das Orchester die Symphonie Nr. 7 von Franz Schubert, besser
bekannt als die „Unvollendete“, wohl mit
eins der meistrezipierten Orchesterwerke der deutschen Romantik. Den
ersten Satz, minutiös komponierte Gefühlschwankungen von tiefer,
weltschmerzender Tragik hin zu strahlender Unbeschwertheit und wieder zurück,
spielten die Musiker mit sichtlicher Freude und Verehrung zum Stück. Sei es
aufgrund der hervorragenden Akustik oder der Orchesterarbeit, die Unvollendete
wirkte leicht und durchscheinend, sodass man sich mit Vergnügen durch die
einzelnen Stimmen durchhören konnte. Emilio Pomarico kostete die einzelnen
Fermaten intensiv aus, was sehr interessant und hörenswert war.
Normalerweise hört man bundesweit anschließend ein Violinkonzert, ob Brahms oder Mendelssohn,
völlig wurscht; nicht so das Berliner Konzerthausorchester. Was das Publikum
nach der Pause zu Gehör bekam, war eine hochgradig charmante Provokation. „Violin
and Orchestra“ von Morton Feldman verscheuchte jedwedes satte Wohlgefühl, das
man vorher vom Schubert noch hatte. Stattdessen war der Zuhörer gezwungen, sich
mit jeder einzelnen Figur auseinanderzusetzen und bang auf die nächste zu
warten, anstelle Musik einfach über sich ergehen lassen und matt und satt einfach genießen zu können. Dank
eines Generaldämpfers auf jedem einzelnen Musikinstrument, hatten die Obertöne
ihre Reihen mit dem Pausenende verlassen und warteten vermutlich im
Musikercasino auf den Rest. Weniger bildhaft: Es war äußerst schwierig dem Konzert
zu folgen. Das Orchester spielte fast durchgängig pianissimo und durch die
Dämpfung war es verteufelt schwer, die Instrumente auszumachen, Anonymisierung als musikalisches Kernstilelement. Zu Isabelle
Faust: Die wunderbare Violinistin präsentierte dieses Werk mit Virtuosität
und so merkwürdig es im Zusammenhang mit diesem Stück klingt, mit einem
Ausdruck, der einen umhaute. Ihre Glissandi, Flagoletts und Doppelgriffe dominierten
und ergriffen das Publikum. Ach ja, das Publikum: die Zuhörerlosung für dieses Konzert
war „Erwarte das Unerwartete“, dementsprechend machte sich hie und da doch
leichte Verzweiflung über den Gesichtern breit. Unruhig scharrte es durch die
Stuhlreihen, von den üblichen Hustern, Schnäuzern und Knarzern gar nicht erst zu sprechen. Oder
gehörte das auch zum Stück? Es war wirklich fordernd: Das Ohr irrte durch das Konzert und war bei sehr Vielen früher oder später rettungslos verloren. Auf der
anderen Seite: Wenn man sich drauf einließ war Spannung das vorherrschende
Gefühl. Was kommt als nächstes? Wie ist diese Figur aufgebaut? Man konnte
durchaus dabei Spaß haben. Auf den Gesichtern der Musiker, die gerade
pausierten, war jedenfalls Vergnügen durchweg sichtbar. Auch bei Isabelle
Faust, die dieses musikalische Monstrum erfolgreich dressierte, waren die
Freude und das Vergnügen während des Schlussapplauses deutlich abzulesen. Der
Applaus war nicht übermäßig, auffällig war aber, wie sich doch etliche recht schnell von
ihren Plätzen erhoben und dem Ausgang entgegen eilten. Ob sie als erste im
Parkhaus sein wollten oder ihnen tatsächlich das Stück so überhaupt nicht
gefiel, ist Spekulation.
Kompliment für den Mut zum Risiko!
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