Sonntag, 9. September 2012

Vollendet Unvollendet und der Mut zum Risiko



Mitten im Musikfest Berlin2012 präsentierte das Konzerthausorchester Berlin ein denkwürdiges Konzert am Sonntagabend mit Isabelle Faust an der Solovioline unter der Leitung von Emilio Pomarico. 

Als Hommage an den kürzlich verstorbenen Komponisten Emmanuel Nunes spielte das Orchester die Symphonie Nr. 7 von Franz Schubert, besser bekannt als die „Unvollendete“, wohl mit  eins der meistrezipierten Orchesterwerke der deutschen Romantik. Den ersten Satz, minutiös komponierte Gefühlschwankungen von tiefer, weltschmerzender Tragik hin zu strahlender Unbeschwertheit und wieder zurück, spielten die Musiker mit sichtlicher Freude und Verehrung zum Stück. Sei es aufgrund der hervorragenden Akustik oder der Orchesterarbeit, die Unvollendete wirkte leicht und durchscheinend, sodass man sich mit Vergnügen durch die einzelnen Stimmen durchhören konnte. Emilio Pomarico kostete die einzelnen Fermaten intensiv aus, was sehr interessant und hörenswert war.

Normalerweise hört man bundesweit anschließend  ein Violinkonzert, ob Brahms oder Mendelssohn, völlig wurscht; nicht so das Berliner Konzerthausorchester. Was das Publikum nach der Pause zu Gehör bekam, war eine hochgradig charmante Provokation. „Violin and Orchestra“ von Morton Feldman verscheuchte jedwedes satte Wohlgefühl, das man vorher vom Schubert noch hatte. Stattdessen war der Zuhörer gezwungen, sich mit jeder einzelnen Figur auseinanderzusetzen und bang auf die nächste zu warten, anstelle Musik einfach über sich ergehen lassen  und matt und satt einfach genießen zu können. Dank eines Generaldämpfers auf jedem einzelnen Musikinstrument, hatten die Obertöne ihre Reihen mit dem Pausenende verlassen und warteten vermutlich im Musikercasino auf den Rest. Weniger bildhaft: Es war äußerst schwierig dem Konzert zu folgen. Das Orchester spielte fast durchgängig pianissimo und durch die Dämpfung war es verteufelt schwer, die Instrumente auszumachen, Anonymisierung als musikalisches Kernstilelement. Zu Isabelle Faust: Die wunderbare Violinistin präsentierte dieses Werk mit Virtuosität und so merkwürdig es im Zusammenhang mit diesem Stück klingt, mit einem Ausdruck, der einen umhaute. Ihre Glissandi, Flagoletts und Doppelgriffe dominierten und ergriffen das Publikum. Ach ja, das Publikum: die Zuhörerlosung für dieses Konzert war „Erwarte das Unerwartete“, dementsprechend machte sich hie und da doch leichte Verzweiflung über den Gesichtern breit. Unruhig scharrte es durch die Stuhlreihen, von den üblichen Hustern, Schnäuzern  und Knarzern gar nicht erst zu sprechen. Oder gehörte das auch zum Stück? Es war wirklich fordernd: Das Ohr irrte durch das Konzert und war bei sehr Vielen früher oder später rettungslos verloren. Auf der anderen Seite: Wenn man sich drauf einließ war Spannung das vorherrschende Gefühl. Was kommt als nächstes? Wie ist diese Figur aufgebaut? Man konnte durchaus dabei Spaß haben. Auf den Gesichtern der Musiker, die gerade pausierten, war jedenfalls Vergnügen durchweg sichtbar. Auch bei Isabelle Faust, die dieses musikalische Monstrum erfolgreich dressierte, waren die Freude und das Vergnügen während des Schlussapplauses deutlich abzulesen. Der Applaus war nicht übermäßig, auffällig war aber, wie sich doch etliche recht schnell von ihren Plätzen erhoben und dem Ausgang entgegen eilten. Ob sie als erste im Parkhaus sein wollten oder ihnen tatsächlich das Stück so überhaupt nicht gefiel, ist Spekulation.

Kompliment für den Mut zum Risiko!

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