Kreuzberg.JS In Kreuzberg ist Frühling. Die Sonne scheint, nur
große Wolken drohen noch mit Schauern.
Die Beeten am Oranienplatz sind
geharkt. Hinter den Raubtierkäfiggittern der Umzäunung grünt die neuangelegte
Rasenfläche. Ordnungsdienst und Stadtgärtner der Stadt Berlin müssen sich angesicht
der frühlingshaften Pracht überschlagen haben. Mitten im umzäunten Terrain
steht einsam und verschlossen ein oranger Container, „Infopoint“. Ungehindert
fliesst der zähflüssige Verkehr mit der M29 und etlichen Autos ungehindert dran
vorbei. Um die Ecke hat der grüne Grandseigneur sein Wahlkreisbüro.
Wundersam verschwunden wie der
Winter sind die Zelte, Hütten und Baracken des Protestcamps, die bis vor ein
paar Tagen auf die Malaise der Flüchtlingssituation in Deutschland mit
Plakaten, Bannern und Transparenten hingewiesen haben. Lediglich auf der
anderen Seite des Platzes in Front des merkwürdigen 70er Jahre-Springbrunnenobjektes
hat sich eine Gruppe mit Schildern versammelt. Sie stehen solidarisch im
Hungerstreik mit Napuli, der letzten Besetzerin des Oranienplatzes.
Und tatsächlich in den frischgrünenden
Wipfeln einer alten Platane hockt in einem wackligen Nest aus Decken eine junge
Frau. Unter ihr lagert ein Rudel Polizisten. Acht Polizeiautos säumen die
Bordsteinkante des Platzes. Diejenigen der schätzungsweise siebzig Polizisten,
die nicht direkt vor dem Baum stehen haben sich über den Platz verteilt.
Wahrscheinlich ist es im Rest der Hauptstadt gerade besonders geruhsam, sodass
dieser imposante Einsatz an einem so schönen Platz bei dem guten Wetter zu
rechtfertigen ist für eine kleine Frau.
Man müsste im Sportunterricht
schon ausgesprochen guter Leichtathlet gewesen sein, um der Frau über diese Weite
der nächstmöglichen Distanz einen Apfel oder eine Wasserflasche zukommen zu lassen.
Gut zehn Meter vor dem Polizeiaufgebot delektieren sich etliche Menschen an dem
Schauspiel, sitzen in komfortablen Campingstühlen oder stehen direkt hinter der
Kamera mit Stativ, bereit den kostbaren Moment festzuhalten, wenn Napuli aufgibt,
runterfällt oder vielleicht doch runtergeholt wird. Als findiger Gastronom
hätte man in dieser beschaulichen Idylle bestimmt mit einem Eiswagen, Erfrischungsgetränken oder einer mobilen Bratwurstbude guten Umsatz machen können.
In der U-Bahn war heimlich über
die Schulter hinweg in der Hofberichterstattung von einem dieser simpleren Berliner
Tageszeitungen zu lesen, welch Stolz einen Berliner Senator der SPD überkam, den Mut aufzubringen, den Oranienplatz
jetzt räumen zu lassen.
Zweieinhalb Kilometer vom
Oranienplatz entfernt wurde vor ein paar Tagen im Martin Gropius Bau eine Ausstellung
des chinesischen Künstlers Ai Weiwei eröffnet. Es überkommt einen ein Gefühl
der Wärme und Behaglichkeit zu diesem Künstler hin und wieder zu lesen, dass
ein Staat Kritik und Protest aushalten können muss.
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