Samstag, 24. Mai 2014

Warum Ai Weiwei dringend weiter gepiesackt und in China festgehalten werden sollte


Mitte.JS Was sorgsam unter den politischen Teppich im Sinne der allgemeinen Ordnung gekehrt wurde, wirbelt er kunstvoll auf: Ai Weiwei ist vielleicht der meistdiskutierte zeitgenössische Künstler. Der Martin Gropius Bau beherbergt noch bis zum 7 Juli die Ausstellung „Evidence“ des chinesischen Künstlers. Hier weist Ai auf mannigfaltige Art und Weise 

auf die kleinen und großen Ungerechtigkeiten welche die chinesischen Behörden zugunsten der allgemeinen „Harmonie“ vertuschen möchten.
Als Besucher wurde man direkt beim Eintritt der Ausstellung vom Anblick der Installation „Stools“ überwältigt. Der Künstler arrangierte exklusiv für den großen Lichthof des ehemaligen Kunstgewerbemuseums antike chinesische Schemel in Reih und Glied und schuf damit einen enormen, sanft wiegenden Teppich.

Zuvor konnte man bereits einen übergroßen Lüster aus einer Vielzahl von Fahrrädern bewundern, der über dem Eingang der Ausstellung hing. Die marmornen Überwachungskameras, die den Eingang links und rechts flankierten wiesen auf den wesentlichen Aspekt des Oeuvres des Querulanten hin.

In einer Vielzahl von Exponaten verarbeitete Ai die Auseinandersetzungen mit den chinesischen Behörden, sei es in Form der beeindruckenden Nachbildung der Zelle in der er 81 Tage unter Videoüberwachung stand, oder in dem imposanten „Souvenir from Shanghai“, zusammengesetzt aus den Überresten seines abgerissenen Ateliers. Im Zusammenhang mit diesen Querelen sollten noch die Tapete aus Schuldscheinen erwähnt werden. Mit den „Flusskrebsen“, einem Raum voller Porzellankrebse spielt er zum Einen ein weiteres Mal auf die letzte Party vor dem Abriss seines Ateliers ein, und zum Anderen auf das Korruptionsproblem in China (wohl ein Wortspiel im Chinesischen).
Nicht nur seine persönlichen Auseinandersetzungen weiß der Künstler wundervoll zu inszenieren. Die verbogenen Armierungseisen eines zusammengestürzten Schulgebäudes mahnen an die Vertuschung von Baumängeln, Korruption und inhumaner Bürokratie. Ebenso fasziniert die Topographie der Diaoyu Inseln in Marmor und verweist gleichzeitig auf den Japan-China Konflikt.

Als dritter Aspekt seiner Arbeit kann die Destruktion der Werte in der „Harmonie“ der chinesischen Gesellschaft gesehen werden, mit der Ai Weiwei den Betrachter auffordert, traditionelle Werte zu hinterfragen. Dazu flext er antike Stühle ab, überzieht Han-Dynastie Vasen mit Autolack. Soweit, so unzureichend über die Kunst von Ai.

Interessant ist auch der omnipräsente Hype um den sympathischen Künstler, ein künstlerischer Dalai Lama in der Mission gegen die böse Volksrepublik. An der Wand neben der Stools-Installation hängt die Petition zur Freilassung von Ai Weiwei, namhafte Leute haben dort unterschrieben.
Aber warum eigentlich?
Keine westliche Regierung wird auf die Idee kommen übertriebenes Engagement an den Tag zu legen, Ai einen Passport zu besorgen um ihn aus China rauszuholen, erweist er sich doch als hervorragendes antivolksrepublikanisches Propagandakaninchen, dass im Bedarfsfall mit einer Ausstellung aus dem Zylinder gezogen werden kann. Im Gegenzug steht der westliche Bewunderer, der, erschüttert über die politischen Ungerechtigkeiten im fernen China, im Idealfall die politischen Ungerechtigkeiten in der Nähe aufgrund seiner Brennschärfe nicht wahrnimmt.
Ginge man von der Hypothese aus, dass Ai Weiwei den Semischurkenstaat tatsächlich verlassen dürfe, sähe man sich vermehrten neuen Interessenskonflikten diverser Parteien gegenüber: Welche Kunst würde entstehen, wenn sich Ai Weiwei mit Ungerechtigkeiten und Willkür hierzulande konfrontiert sieht, beispielsweise über seine Aufenthaltsgenehmigung als Ausländer? Nicht auszudenken!
Nicht uninteressant wären die wirtschaftlichen Konsequenzen: Da Ungerechtigkeiten made in china das Oeuvre des Künstlers dominieren, wäre er somit seines Themas beraubt, abgesehen von dem Umstand, dass er durch die Berichterstattung der behördlichen Schandtaten ihm gegenüber im Gespräch bleibt, was zweifellos den Preisen seiner Werke einen Positivtrend nach oben verleiht, was sowohl Künstler wie auch Galeristen erfreuen dürfte. Dürfte er reisen, würde er fair behandelt werden, wäre er dann nicht nur ein Künstler von vielen in der Gestalt eines entzückenden chinesischen Goldhamsters?
Man sieht, für alle Beteiligten besteht mit dem gegenwärtigen Zustand der Affäre Ai Weiwei eine allgemeine Winwin-Situation. Aber komischerweise: Es will partout kein Argument zur Fortsetzung der Gemeinheiten gegen Ai Weiwei im Sinne der chinesischen Führung in den Sinn kommen.

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