Mitte.JS Was sorgsam unter den politischen
Teppich im Sinne der allgemeinen Ordnung gekehrt wurde, wirbelt er kunstvoll
auf: Ai Weiwei ist vielleicht der meistdiskutierte zeitgenössische Künstler.
Der Martin Gropius Bau beherbergt noch bis zum 7 Juli die Ausstellung
„Evidence“ des chinesischen Künstlers. Hier weist Ai auf mannigfaltige Art und
Weise
auf die kleinen und großen Ungerechtigkeiten welche die chinesischen
Behörden zugunsten der allgemeinen „Harmonie“ vertuschen möchten.
Als Besucher wurde man direkt
beim Eintritt der Ausstellung vom Anblick der Installation „Stools“
überwältigt. Der Künstler arrangierte exklusiv für den großen Lichthof des
ehemaligen Kunstgewerbemuseums antike chinesische Schemel in Reih und Glied und
schuf damit einen enormen, sanft wiegenden Teppich.
Zuvor konnte man bereits einen
übergroßen Lüster aus einer Vielzahl von Fahrrädern bewundern, der über dem
Eingang der Ausstellung hing. Die marmornen Überwachungskameras, die den
Eingang links und rechts flankierten wiesen auf den wesentlichen Aspekt des
Oeuvres des Querulanten hin.
In einer Vielzahl von Exponaten
verarbeitete Ai die Auseinandersetzungen mit den chinesischen Behörden, sei es
in Form der beeindruckenden Nachbildung der Zelle in der er 81 Tage unter
Videoüberwachung stand, oder in dem imposanten „Souvenir from Shanghai“,
zusammengesetzt aus den Überresten seines abgerissenen Ateliers. Im
Zusammenhang mit diesen Querelen sollten noch die Tapete aus Schuldscheinen
erwähnt werden. Mit den „Flusskrebsen“, einem Raum voller Porzellankrebse
spielt er zum Einen ein weiteres Mal auf die letzte Party vor dem Abriss seines
Ateliers ein, und zum Anderen auf das Korruptionsproblem in China (wohl ein
Wortspiel im Chinesischen).
Nicht nur seine persönlichen
Auseinandersetzungen weiß der Künstler wundervoll zu inszenieren. Die
verbogenen Armierungseisen eines zusammengestürzten Schulgebäudes mahnen an die
Vertuschung von Baumängeln, Korruption und inhumaner Bürokratie. Ebenso
fasziniert die Topographie der Diaoyu Inseln in Marmor und verweist
gleichzeitig auf den Japan-China Konflikt.
Als dritter Aspekt seiner Arbeit kann die Destruktion der Werte in der „Harmonie“ der chinesischen Gesellschaft gesehen werden, mit der Ai Weiwei den Betrachter auffordert, traditionelle Werte zu hinterfragen. Dazu flext er antike Stühle ab, überzieht Han-Dynastie Vasen mit Autolack. Soweit, so unzureichend über die Kunst von Ai.
Interessant ist auch der omnipräsente Hype um den sympathischen Künstler, ein künstlerischer Dalai Lama in der Mission gegen die böse Volksrepublik. An der Wand neben der Stools-Installation hängt die Petition zur Freilassung von Ai Weiwei, namhafte Leute haben dort unterschrieben.
Aber warum eigentlich?
Keine westliche Regierung wird
auf die Idee kommen übertriebenes Engagement an den Tag zu legen, Ai einen
Passport zu besorgen um ihn aus China rauszuholen, erweist er sich doch als
hervorragendes antivolksrepublikanisches Propagandakaninchen, dass im
Bedarfsfall mit einer Ausstellung aus dem Zylinder gezogen werden kann. Im
Gegenzug steht der westliche Bewunderer, der, erschüttert über die politischen
Ungerechtigkeiten im fernen China, im Idealfall die politischen
Ungerechtigkeiten in der Nähe aufgrund seiner Brennschärfe nicht wahrnimmt.
Ginge man von der Hypothese aus,
dass Ai Weiwei den Semischurkenstaat tatsächlich verlassen dürfe, sähe man sich
vermehrten neuen Interessenskonflikten diverser Parteien gegenüber: Welche
Kunst würde entstehen, wenn sich Ai Weiwei mit Ungerechtigkeiten und Willkür
hierzulande konfrontiert sieht, beispielsweise über seine Aufenthaltsgenehmigung
als Ausländer? Nicht auszudenken!
Nicht uninteressant wären die
wirtschaftlichen Konsequenzen: Da Ungerechtigkeiten made in china das Oeuvre
des Künstlers dominieren, wäre er somit seines Themas beraubt, abgesehen von
dem Umstand, dass er durch die Berichterstattung der behördlichen Schandtaten
ihm gegenüber im Gespräch bleibt, was zweifellos den Preisen seiner Werke einen
Positivtrend nach oben verleiht, was sowohl Künstler wie auch Galeristen
erfreuen dürfte. Dürfte er reisen, würde er fair behandelt werden, wäre er dann
nicht nur ein Künstler von vielen in der Gestalt eines entzückenden
chinesischen Goldhamsters?
Man sieht, für alle Beteiligten
besteht mit dem gegenwärtigen Zustand der Affäre Ai Weiwei eine allgemeine
Winwin-Situation. Aber komischerweise: Es will partout kein Argument zur
Fortsetzung der Gemeinheiten gegen Ai Weiwei im Sinne der chinesischen Führung
in den Sinn kommen.
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