Bosnien.JS In aller Herrgottsfrühe sitze ich in diesem charmanten, etwas siffigen Zug Sarajevo-Mostar.
Ein bisschen Melancholie überkommt mich beim Anblick des
traurigen postsozialistischen Bahnhofes. Im frühmorgendlichen dunstigen Licht
der ersten Sonnenstrahlen erheben sich die Berge im Hintergrund über der noch
halbwegs schlafenden Stadt. Der verdrehte Avaztower, sowie vereinzelte Kriegsruinen
winken zum Abschied. Das Licht ist wunderschön: Durch die diesige Luft brechen
einzelnen Sonnenstrahlen, während der Zug so langsam vor sich hin humpelt. Schnell
musste ich noch vor der Fahrt die Flucht ergreifen. Ein deutsches blondlilagrüngefärbtes
Hipstermädchen überredete mich mit ihrer Begrüßung „ Ihh, was stinkt das hier“,
dass ein 6erabteil doch viel bequemer sein könnte, als der Großraumwaggon.
Keine 10 Minuten später kommt
der Kondukteur, mit Ledertasche, Kartenknipser und Schirmmütze. Ich bin der Einzige im Abteil mit einem Ticket und komme mir wie ein Streber vor. Sobald die Häuser der Vororte von Sarajevo aus dem Sichtfeld verschwinden, offenbart sich eine Landschaft, die so schön ist, dass es schmerzt. Unter Trauerweiden halbversteckt führt eine kleine Brücke über ein Flüsschen, William Turner könnte es nicht schöner malen.
Die Siedlungen entlang der Zugstrecke werden von Kilometer
zu Kilometer verträumter. Die Häuser stehen vereinzelnd und werden von
Obstbäumen umsäumt; sie kuscheln sich geradezu in die Landschaft. Heuhaufen
trocknen auf abgemähten Wiesen, wie bei Van Gogh. Dann und wann erblickt man
einen Gemüsegarten, indem die Bohnen Spalierstehen. Nur der Kukuruz ist noch
nicht sehr weit. Gelb leuchten die Zucchiniblüten. Ob sie mit gehackten
Lammfleisch gefüllt werden? Dürfen die reifen Früchte als Antipasti an einem lauen
Sommerabend im Garten an einer Tafel enden oder müssen sie ein dunkles Dasein
im Glas fristen um im dann im Winter das Gemüsedefizit auszugleichen?
Derweil betrachte ich das Lunchpaket des Hotels- tolle Idee,
mir die Brote im Zug zu schmieren. Ich beiße lustlos ins Hörnchen, dass nicht
nur bei aller Blätterigkeit den Biss eines Brioches hat, sondern sich außerdem
noch als mit Schokolade gefüllt, erweist. Das größte Ärgernis beim Zugfahren
ist es doch, wenn man zu faul war, sich selber ein Brot zu machen, sondern
stattdessen eins am Bahnhof zu erwerben, um dann beim Reinbeißen ins
Briebaguette die Remoulade zu erschmecken. Butter, Feigen-/Johannisbeeren-/Ingwersenf,
Sahnemeerrettich alles würde harmonieren, aber Remoulade?
Derweil ruckelt und zuckelt der Zug gemächlich vor sich hin
und ich bin in meinen Gedanken bei einem generellen Remouladenverbot an
deutschen Bahnhöfen…
Als ich wieder aufwache halten wir in einem Ort namens
Konjic. Die Häuser sind imposant protzig, die Berge auch. Ab jetzt fahren wir
an einem breiten Fluss entlang, der träge im Tal vor sich hinfließt.
Die Felsen links und rechts werden immer schroffer. Der Granit präsentiert
sich wie im schönsten Fliesenkatalog, allerdings nicht als ordentliche 30x30
cm Bodenfliese, sondern in kühnen Formationen, die sehr instabil wirken, aber
wohl doch halten. Wolken hängen unterhalb der Gipfel knapp über den Wäldern.
Der Fluss wird breiter; an einer Stelle sieht man Fischzuchtanlagen im Wasser.
Irgendwann wird es für Minuten rabenschwarz, als der Zug im
Bauch des Berges verschwindet. Wieder im Tageslicht angekommen findet man eine
vollkommen andere Landschaft vor: Das Tal hatte sich sehr verbreitet. Wo bis
gerade noch schroffe Felsen waren sind jetzt grüne saftige Wiesen. Etwas sticht
ins Auge: Die Eingangstüren der Häuser befinden sich mehrheitlich im ersten
Stock, Hochwasser? Irgendwann läuft ein zweiter Fluss hinein. Der Kondukteur
läuft über den Gang und ruft in einem fort: „Mostar, Mostar!“ 120 Kilometer in
zweieinhalb Stunden können verdammt lange sein oder ausreichend Zeit die Pracht
eines Landes zu genießen. Eine Pracht die immer noch mit Landminen verunstaltet
ist.
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