Dienstag, 29. Juli 2014

Die schönste Zugstrecke Europas




Bosnien.JS In aller Herrgottsfrühe sitze ich in diesem charmanten, etwas siffigen Zug Sarajevo-Mostar.
Ein bisschen Melancholie überkommt mich beim Anblick des traurigen postsozialistischen Bahnhofes. Im frühmorgendlichen dunstigen Licht der ersten Sonnenstrahlen erheben sich die Berge im Hintergrund über der noch halbwegs schlafenden Stadt. Der verdrehte Avaztower, sowie vereinzelte Kriegsruinen winken zum Abschied. Das Licht ist wunderschön: Durch die diesige Luft brechen einzelnen Sonnenstrahlen, während der Zug so langsam vor sich hin humpelt. Schnell musste ich noch vor der Fahrt die Flucht ergreifen. Ein deutsches blondlilagrüngefärbtes Hipstermädchen überredete mich mit ihrer Begrüßung „ Ihh, was stinkt das hier“, dass ein 6erabteil doch viel bequemer sein könnte, als der Großraumwaggon.


Keine 10 Minuten später kommt
der Kondukteur, mit Ledertasche, Kartenknipser und Schirmmütze. Ich bin der Einzige im Abteil mit einem Ticket und komme mir wie ein Streber vor. Sobald die Häuser der Vororte von Sarajevo aus dem Sichtfeld verschwinden, offenbart sich eine Landschaft, die so schön ist, dass es schmerzt. Unter Trauerweiden halbversteckt führt eine kleine Brücke über ein Flüsschen, William Turner könnte es nicht schöner malen.
Die Siedlungen entlang der Zugstrecke werden von Kilometer zu Kilometer verträumter. Die Häuser stehen vereinzelnd und werden von Obstbäumen umsäumt; sie kuscheln sich geradezu in die Landschaft. Heuhaufen trocknen auf abgemähten Wiesen, wie bei Van Gogh. Dann und wann erblickt man einen Gemüsegarten, indem die Bohnen Spalierstehen. Nur der Kukuruz ist noch nicht sehr weit. Gelb leuchten die Zucchiniblüten. Ob sie mit gehackten Lammfleisch gefüllt werden? Dürfen die reifen Früchte als Antipasti an einem lauen Sommerabend im Garten an einer Tafel enden oder müssen sie ein dunkles Dasein im Glas fristen um im dann im Winter das Gemüsedefizit auszugleichen?
Derweil betrachte ich das Lunchpaket des Hotels- tolle Idee, mir die Brote im Zug zu schmieren. Ich beiße lustlos ins Hörnchen, dass nicht nur bei aller Blätterigkeit den Biss eines Brioches hat, sondern sich außerdem noch als mit Schokolade gefüllt, erweist. Das größte Ärgernis beim Zugfahren ist es doch, wenn man zu faul war, sich selber ein Brot zu machen, sondern stattdessen eins am Bahnhof zu erwerben, um dann beim Reinbeißen ins Briebaguette die Remoulade zu erschmecken. Butter, Feigen-/Johannisbeeren-/Ingwersenf, Sahnemeerrettich alles würde harmonieren, aber Remoulade?
Derweil ruckelt und zuckelt der Zug gemächlich vor sich hin und ich bin in meinen Gedanken bei einem generellen Remouladenverbot an deutschen Bahnhöfen…
Als ich wieder aufwache halten wir in einem Ort namens Konjic. Die Häuser sind imposant protzig, die Berge auch. Ab jetzt fahren wir an einem breiten Fluss entlang, der träge im Tal vor sich hinfließt. Die Felsen links und rechts werden immer schroffer. Der Granit präsentiert sich wie im schönsten Fliesenkatalog, allerdings nicht als ordentliche 30x30 cm Bodenfliese, sondern in kühnen Formationen, die sehr instabil wirken, aber wohl doch halten. Wolken hängen unterhalb der Gipfel knapp über den Wäldern. Der Fluss wird breiter; an einer Stelle sieht man Fischzuchtanlagen im Wasser.
Irgendwann wird es für Minuten rabenschwarz, als der Zug im Bauch des Berges verschwindet. Wieder im Tageslicht angekommen findet man eine vollkommen andere Landschaft vor: Das Tal hatte sich sehr verbreitet. Wo bis gerade noch schroffe Felsen waren sind jetzt grüne saftige Wiesen. Etwas sticht ins Auge: Die Eingangstüren der Häuser befinden sich mehrheitlich im ersten Stock, Hochwasser? Irgendwann läuft ein zweiter Fluss hinein. Der Kondukteur läuft über den Gang und ruft in einem fort: „Mostar, Mostar!“ 120 Kilometer in zweieinhalb Stunden können verdammt lange sein oder ausreichend Zeit die Pracht eines Landes zu genießen. Eine Pracht die immer noch mit Landminen verunstaltet ist.

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