Freitag, 29. August 2014

Hans im Glück – ein Reigen des Verlusts



Tempelhof.JS Nicht die Loslösung alles Materiellen auf dem Weg zur Vollkommenheit, sondern eine Elegie über Verlust und Besitz thematisiert Bertolt Brechts „Hans im Glück“.
Die Theatergruppe Ton und Kirschen zeigt das fragmentarische Frühwerk im Zelt des Ufa Theaters in Tempelhof. Richtig, man braucht gar nicht erst seine düstere Erinnerung vom Deutsch-Leistungskurs zwölfte Klasse zu bemühen, kaukasischer Kreidekreis, Mutter Courage, Galileo, Dreigroschenoper…das Stück kennt keiner. Die Theatergruppe stieß bei ihrer letzten Frankreich-Tournee auf einen Regisseur, dem dieses Stück aus dem Nachlass zugespielt wurde.

(Quelle Ton und Kirschen/Jean Pierre Estournet)
Im Stück verliert Hans nacheinander Frau, Hof, Wohnwagen, Karussell, Gans und zu guter Letzt sein nacktes Leben; trotz alledem sieht er sich glücklich. „Er ist etwas dumm, aber tut alles, ist stark, ist ein guter Mensch“ wird er von seiner Frau zusammengefasst. Interessanterweise trifft Hans im Verlauf auf Charaktere, in denen sich gut Brechts spätere Figuren wiederfinden lassen, sei es die Mutter Courage diesmal als Schaustellerin oder auch ein Mackie Messer verdammt ähnlicher Ganove.

(Quelle Ton und Kirschen/Jean Pierre Estournet)
Wer bei Open Air Theater vom liebgemeinten Laientheater ausgeht, wird von Ton und Kirschen eines Besseren belehrt. Das Ensemble überzeugte im Spiel, die Figuren waren greifbar und detailliert. Rob Wyn Jones gab einen liebenswert vertrottelten Hans, der genussvoll stellenweise übertrieb, sei es das Badewasser, das 95 Grad haben müsste oder der Ausraster auf der Kirmes. Ebenso konnten Margarete Biereye und Polina Borissova ihre Figuren mit buntem Leben füllen.

(Quelle Ton und Kirschen/Jean Pierre Estournet)
Noch bemerkenswerter als die schauspielerische Leistung muss das Bühnenbild, Staffage und Technik erwähnt werden. Das ins Stück integrierte Marionettentheater oder Details wie der Regen demonstrierten fantasievolle Raffinesse. In Kombination mit der maroden Schrottoptik ergab das Ganze ein spannendes Vexierspiel, das sowohl den burlesken Jahrmarktscharme des Open air Theaters unterstrich, als auch dem Stück eine sentimental-melancholische Poesie verlieh; der Mond als durchgerosteter Tonnendeckel war zum Sterben schön.
Bis Ende August gibt es die Möglichkeit das kurze, aber eindringliche Stück in Tempelhof zu sehen, der Genuss ist Lichtjahre vom Deutsch-LK entfernt.

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