Sonntag, 23. November 2014

Voll auf den Hund gekommen



Foto:Jean-Pierre Estournet
Potsdam. JS Wann ist ein Mensch ein Mensch und ab wann ein Sowjet? Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Michail Bulgakow präsentiert die Theatergruppe Ton und Kirschen in der Fabrik in Potsdam „Hundeherz“. Im russischen Winter der 20er Jahre errettet Professor Fillip Fillipowitsch einen streunenden Hund vor dem Erfrierungstod. Das macht er jedoch nicht ohne Hintergedanken. Als chirurgische Koryphäe für Xenotransplantion beabsichtigt er die Implantation der Hypophyse und der  Testikel eines jüngst verstorbenen Kleinkriminellen in den Hund. Die Operation verläuft erfolgreich und der Hund beginnt ausgesprochen menschlich zu werden, schlimmer noch: die Kinderstube des Vorbesitzers der Implantate dringt durch. Das sorgt für reichlich Ungemach in der Wohngemeinschaft. Im Gegensatz zu seinem bourgeoisen Kreateur arrangiert sich Sarik Sarikow, wie der ehemalige Hund jetzt heißt, hervorragend mit dem sowjetischen Regime und beginnt eine aussichtsreiche Karriere in der Stadtreinigung. Bevor er seinen konterrevolutionären Meister ans Messer liefern kann, zieht der Professor die Notbremse und führt Sarik mittels einer zweiten Operation wieder mit allen vier Pfoten auf den Boden der Tatsachen zurück. 

Foto:Jean-Pierre Estournet
Sowjetische Kälte und Momente klassischen Grand Guignols erwarteten das zahlreiche Publikum. David Johnston gab einen herrlich arroganten Professor, der beinahe jeden Satz vor Selbstgefälligkeit strotzen ließ. Nelson Leon als Sarik Sarikow gab den tierisch guten Gegenpart. Der wirkliche Star des Abends war eine Hundemarionette, lebensecht und vor allem tatsächlich mitleidserregend. Dem Ensemble gelang es, mit scheinbar einfachen Requisiten das Stück stimmungsvoll in Szene zu setzen. Die Operation als herrlich ekliges Beispiel sorgte im Publikum für amüsiert-angewidertes Schaudern und jedes Mal, wenn wieder ein bisschen Blut an die Scheibe spritzte, sorgte dies für Lacher. Deutlich spürbar wurde der Atem angehalten, als gen Ende eine gar kunstvolle Marionette von Sarikow im Hybridstadium die Bühne betrat.
Foto:Jean-Pierre Estournet
Erinnerte die Geschichte insbesondere bei der Operation an Frankenstein und damit auch an die Diskussion um den menschlichen Eingriff in göttliches Werk, so warf sie doch noch andere Fragen auf, wie über den menschlichen Umgang mit Tieren, da der Hund sowohl als Mensch wie Tier keine Daseinsberechtigung hat, sondern nur als Projektionsfläche für die wissenschaftlichen Allmachtsfantasien des Professors dient. Ebenso stellt Bulgakow leise aber deutlich vernehmbar die Frage nach dem neuen Menschenbild des Kommunismus in Frage.
Ton und Kirschen schaffte es, sein Publikum mit „Hundeherz“ bestens zu unterhalten und in wunderschöner Kulisse mit originellen Requisiten die russische Satire aufleben zu lassen. Als Johnston am Ende des Applauses seine ihm überreichte Rose lässig ins Becherglas warf, zuckte man zusammen, immerhin war das blutrot gefärbte Wasser vor fünf Minuten noch die Nährlösung  für das herausoperierte Gekröse. Aber nach der Vorstellung den Hund der Theatergruppe ohne Puppenspieler zu sehen hatte etwas Gruseliges…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen