Nein, Theater von Ton und Kirschen aus
Glindow bei Werder steht viel mehr für laue Spätsommerabende, an
denen Mücken und Motten im trübgelben Licht der Bühnenbeleuchtung
tanzen und man offenen Auges träumt; nur der Schluck am kalten
Getränk erinnert einen daran, dass man wach ist. Unter der Kuppel
des ufa- Theaters in Tempelhof schlugen die Künstler ihr zahlreiches
Publikum mit Gedichten aus dem 17. Jahrhundert in ihren Bann .
32 der insgesamt 154 Sonette William
Shakespeares nahm sich die Wandertheatergruppe an und inszenierte sie
in einem berührenden Reigen: in alltäglichen Situationen,
absonderlichen Skurrilitäten, drastischen Momenten, mystischer
Entrückung – so nah oder fern einem das Dargebotene schien, so
weit oder eng umliefen sie das eigentliche Thema der Liebe.
Direkt zu Beginn sorgte der schier
endlos danieder rieselnde Sand aus dem Krug in die Waschschüssel für
die eindringliche Erkenntnis, wie endlich der Mensch und damit die
Liebe in Wirklichkeit sind. Mit dem immer breiiger werdenden Wasser
in dieser Schüssel bildete Nelson Leons Metapher der
Gesichtsreinigung als Alterung einen beeindruckenden Auftakt der
Episoden.
Besonders viele Lacher und Amüsement
erntete David Johnston als grantiger Grummelgreis, der im Sonett über das
Alter lebhaft bewies, dass der Herbst noch seine warmen Tage hat.
Besonders schön war zu beobachten, wie angesichts seiner
Rollatorakrobatik das Tabu der Altersdiskriminierung immer mehr
bröckelte und aus unterdrückten Kichern schließlich befreites
Lachen wurde.
Im Vergleich zu vergangenen
Inszenierungen fiel erfreut auf, dass Musik und Gesang einen weitaus
größeren Anteil hatte. Ein Riesenkompliment für das beeindruckende
Ergebnis: Kurt Weill hätte seinen Spaß am maliziösen
Eifersuchtstango gehabt, Margarete Biereye gurrte herrlich verrucht. Größte
Begeisterung brandete beim Publikum jedoch bei Davids Countrysong
auf, den er zu Sonett 109 zusammen mit seinem Bruder zum Besten gab.
„Genauso hätte es bei Johnny Cash geklungen“, schmunzelte er
hinterher. Allerdings spielen er und sein Bruder zusammen
Countrymusik seit sie 11 Jahre alt sind.
Photo: Jean-Pierre Estournet |
Herzzerreißende Tragikomik bot sich
dem Publikum, als das Männerquintett in einer wunderschönen
Kantilene der Vergänglichkeit nachklagten, jedoch im Spiel dabei
nicht die der Liebe meinten, sondern tatsächlich derjenigen eines
Paar Stiefels, das Rob Wyn Jones buchstäblich davonlief. Stimmlich
überzeugte am meisten Polina Borissova, die so ihr Talent als
Sängerin neben dem Schauspiel unter Beweis stellen konnte.
Der Respekt für eben dieses Wunderwerk
gebührt Daisy Watkiss, die auch in Shakespeares Sonette
eindrucksvoll ihre Kunst als Puppenspielerin präsentierte. Die
empfindsame Trauer der Witwe, die von ihr deutlich erkennbar geführt
wurde, ließ einen immer wieder sich vergewissern, dass man es
lediglich mit einer leblosen Puppe zu tun hat. Es lässt sich nicht
anders erklären, als dass sie einen Teil ihrer Seele dafür opfert,
Gegenständen Leben einhauchen zu können.
Aus dem simplen Bühnenbild das Maximum
an Effekten herauszuholen gebührt wohl auch ihrem Talent. Der Wald
aus herabhängenden Seilen, wandelte seine Funktion vom
Theatervorhang, Irrgarten, Lusthain oder Versteck je nach
Bedarfsfall. Zuletzt gelang der alles hinwegfegende Orkan lediglich
über die Seile und ein paar über die Bühne polternden Stühle.
Auf Hochform schienen alle bei diesem
Stück auflaufen zu können. Margarete gab den somnambulen Pierrot,
der mal schlaftrunken, mal an unsichtbaren Fäden taumelnd, das
Sonett vom Träumen präsentierte. Kompliment auch an Richard
Henschels Travestie - erst die auffällig mangelhafte Körperrasur
ließ den Groschen fallen. Dafür schaffte es Polina Borissova
hinreißend, die klassische Rolle der Liebe Verfallenen zu brechen,
trotz imposanten Pfeil im Herzen.
Photo: Jean-Pierre Estournet |
Auch wenn Shakespeares Sonette ohne
große Erzählbögen, Cliffhanger, Intrigen und sonst wie
verwickelter Handlung auskommen mussten, so gelang es ihnen
hervorragend, ihre Zuschauer über eine Stunde lang bestens zu
unterhalten. Durchdachte Dramaturgie und das volle Ausschöpfen ihres
Potenzials sorgten dafür, keine Nummernrevue entstehen zu lassen,
sondern vielmehr einen meditativen Tanz über das ureigenste Thema
jener vierhundertjähriger Gedichte in die Gegenwart zu
choreographieren.
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