Samstag, 27. August 2016

Shakespeare – so nett!

Tempelhof.JS „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?“
Nein, Theater von Ton und Kirschen aus Glindow bei Werder steht viel mehr für laue Spätsommerabende, an denen Mücken und Motten im trübgelben Licht der Bühnenbeleuchtung tanzen und man offenen Auges träumt; nur der Schluck am kalten Getränk erinnert einen daran, dass man wach ist. Unter der Kuppel des ufa- Theaters in Tempelhof schlugen die Künstler ihr zahlreiches Publikum mit Gedichten aus dem 17. Jahrhundert in ihren Bann .

32 der insgesamt 154 Sonette William Shakespeares nahm sich die Wandertheatergruppe an und inszenierte sie in einem berührenden Reigen: in alltäglichen Situationen, absonderlichen Skurrilitäten, drastischen Momenten, mystischer Entrückung – so nah oder fern einem das Dargebotene schien, so weit oder eng umliefen sie das eigentliche Thema der Liebe.

Direkt zu Beginn sorgte der schier endlos danieder rieselnde Sand aus dem Krug in die Waschschüssel für die eindringliche Erkenntnis, wie endlich der Mensch und damit die Liebe in Wirklichkeit sind. Mit dem immer breiiger werdenden Wasser in dieser Schüssel bildete Nelson Leons Metapher der Gesichtsreinigung als Alterung einen beeindruckenden Auftakt der Episoden.

Besonders viele Lacher und Amüsement erntete David Johnston als grantiger Grummelgreis, der im Sonett über das Alter lebhaft bewies, dass der Herbst noch seine warmen Tage hat. Besonders schön war zu beobachten, wie angesichts seiner Rollatorakrobatik das Tabu der Altersdiskriminierung immer mehr bröckelte und aus unterdrückten Kichern schließlich befreites Lachen wurde.

Im Vergleich zu vergangenen Inszenierungen fiel erfreut auf, dass Musik und Gesang einen weitaus größeren Anteil hatte. Ein Riesenkompliment für das beeindruckende Ergebnis: Kurt Weill hätte seinen Spaß am maliziösen Eifersuchtstango gehabt, Margarete Biereye gurrte herrlich verrucht. Größte Begeisterung brandete beim Publikum jedoch bei Davids Countrysong auf, den er zu Sonett 109 zusammen mit seinem Bruder zum Besten gab. „Genauso hätte es bei Johnny Cash geklungen“, schmunzelte er hinterher. Allerdings spielen er und sein Bruder zusammen Countrymusik seit sie 11 Jahre alt sind.
Photo: Jean-Pierre Estournet

Herzzerreißende Tragikomik bot sich dem Publikum, als das Männerquintett in einer wunderschönen Kantilene der Vergänglichkeit nachklagten, jedoch im Spiel dabei nicht die der Liebe meinten, sondern tatsächlich derjenigen eines Paar Stiefels, das Rob Wyn Jones buchstäblich davonlief. Stimmlich überzeugte am meisten Polina Borissova, die so ihr Talent als Sängerin neben dem Schauspiel unter Beweis stellen konnte.

Der Respekt für eben dieses Wunderwerk gebührt Daisy Watkiss, die auch in Shakespeares Sonette eindrucksvoll ihre Kunst als Puppenspielerin präsentierte. Die empfindsame Trauer der Witwe, die von ihr deutlich erkennbar geführt wurde, ließ einen immer wieder sich vergewissern, dass man es lediglich mit einer leblosen Puppe zu tun hat. Es lässt sich nicht anders erklären, als dass sie einen Teil ihrer Seele dafür opfert, Gegenständen Leben einhauchen zu können.
Aus dem simplen Bühnenbild das Maximum an Effekten herauszuholen gebührt wohl auch ihrem Talent. Der Wald aus herabhängenden Seilen, wandelte seine Funktion vom Theatervorhang, Irrgarten, Lusthain oder Versteck je nach Bedarfsfall. Zuletzt gelang der alles hinwegfegende Orkan lediglich über die Seile und ein paar über die Bühne polternden Stühle.

Auf Hochform schienen alle bei diesem Stück auflaufen zu können. Margarete gab den somnambulen Pierrot, der mal schlaftrunken, mal an unsichtbaren Fäden taumelnd, das Sonett vom Träumen präsentierte. Kompliment auch an Richard Henschels Travestie - erst die auffällig mangelhafte Körperrasur ließ den Groschen fallen. Dafür schaffte es Polina Borissova hinreißend, die klassische Rolle der Liebe Verfallenen zu brechen, trotz imposanten Pfeil im Herzen.
Photo: Jean-Pierre Estournet


Auch wenn Shakespeares Sonette ohne große Erzählbögen, Cliffhanger, Intrigen und sonst wie verwickelter Handlung auskommen mussten, so gelang es ihnen hervorragend, ihre Zuschauer über eine Stunde lang bestens zu unterhalten. Durchdachte Dramaturgie und das volle Ausschöpfen ihres Potenzials sorgten dafür, keine Nummernrevue entstehen zu lassen, sondern vielmehr einen meditativen Tanz über das ureigenste Thema jener vierhundertjähriger Gedichte in die Gegenwart zu choreographieren.

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