Es ist
ein warmer, sonniger Novembertag, weswegen ich im Tshirt von Beşiktaş
aus nach Kabataş
laufen kann. Am Platz bei der Bahçeşehir Universität
drückt mir ein junger Mann eine Postkarte mit dem Porträt des
Staatsgründers in die Hand, für eine Spende an behinderte Menschen.
Die Allee am Dolmabahçe-Palast
ist geschmückt mit großen wehenden Türkeiflaggen im
Wechsel mit Atatürk, dessen Todestag letzte Woche gedacht wurde. Ich
erinnere mich, dass ich in den letzten beiden Jahren die Präsenz des
Gründervaters in der Öffentlichkeit vermisst hatte, stattdessen
prangte damals das Porträt des Präsidenten an allen erdenklichen
Orten. Atatürk fand man auf unglaublich vielen Bannern, mit denen
Fenster verhängt wurden. Diese Protestform wurde unterbunden durch
ein Verbot des Nachdrucks dieser Flaggen. Davon ist nichts mehr zu
sehen. Das öffentliche Bild erinnert fast an die guten alten Zeiten,
als der türkische Staatschef noch unser Freund war.
Abends auf dem Taksim |
Abends
laufe ich über den Taksimplatz. Die Bäume des Geziparks stehen noch
genau so da, wie ich sie letztes Jahr noch gesehen hatte. Nur die
Paletten mit Baumaterial versprechen Unheilvolles. Zwei Details
unterscheiden sich allerdings fundamental zu früher: Der Taksimplatz
war schon immer ein Ort emsigen Treibens: Familien schoben hier ihren
Kinderwagen bepackt und genervt vom Einkauf durch die Gegend, junge
Pärchen hielten kurz für ein Selfie vorm Denkmal inne, um dann
schnell zum Lieblingscafé weiter zu eilen und ganz zu Schweigen von
Touristentrauben, die wild fotografierend einer Elefantenherde
gleichkamen. Anstelle dessen ist der Fluss des Treibens nahezu zum
Stillstand gekommen, arabisch sprechende junge Männer schlagen hier
die Zeit tot, sie wissen anscheinend nicht wohin und so drehen sie
ihre Runden auf dem Platz. Die andere Tatsache ist noch
verwunderlicher. Der Taksimplatz ist, solange ich denken kann,
Paradeplatz polizeilicher Potenz. Normalerweise parken vor der Mauer
gepanzerte Wasserwerfer und die Polizisten selber, häufig in großer
Anzahl, sind imposant und vor allem schwer bewaffnet. Ich muss mich
jetzt anstrengen überhaupt welche zu entdecken.
Zwischen
Gezipark und Taksim-Denkmal ist ein Secondhand Bücher-Festival. Beim
vollmundig prämierten besten türkischen Kaffee der Welt kehre ich
ein. Der Chef lädt mich an seinen Tisch zum Kaffee ein.
Normalerweise käme jetzt der übliche nette Smalltalk, wie ich ihn
schon oft und gerne hier mache, aber auf die Antwort ob ich
Amerikaner oder Brite sei, friert das Gesicht des Kaffeemanagers ein
und er verfällt in Retrospektiven, wie schön früher das Verhältnis
gewesen sei, viele Türken hätten deutsch gelernt, sein Chef zum
Beispiel, den er ran winkt. Man hat sich noch weniger zu sagen als
Smalltalk und das betrübt mich sehr.
Ich
bin mir unsicher ob es mich freut, dass man auf der İstiklâl
Caddesi kaum europäische Touristen in ihrer entlarvenden
Funktionskleidung sieht. Die paar Mal Deutsch lassen sich an diesem
Wochenende an einer Hand abzählen.
Vor
dem Zubettgehen lese ich einen Artikel über die verhaftete
Schriftstellerin Asli Erdoğan , deren Gesicht mir bekannt vorkommt.
Am nächsten Morgen wache ich mit der Erinnerung auf, dass ich sie
vor ein paar Jahren während des Studiums traf und einen Artikel über
sie und die deutsche Publikation ihres Romans „Die Stadt mit der
roten Pelerine“ schreiben durfte – die Erinnerung verfolgt mich
den gesamten Vormittag.
Während
meiner Mittagspause im Restaurant in Ortaköy, lasse ich meinen Blick
durch die Gasse schweifen und dann trifft mich der Schlag: Ich habe
bisher noch keinen kette rauchenden Opa im Teehaus inmitten vom
Zeitungswust gesehen und werde ihn auch das gesamte Wochenende nicht
zu sehen bekommen. Stattdessen hält sich jeder öffentlich bedeckt
und macht sein Ding, scheint es mir. Mit diesem Gedanken registriere
ich das Angebot an den Kiosken. Tatsächlich scheinen die vielen
Zeitungen größtenteils durch Magazine über Sport, Mode und
Gesundheit ersetzt worden zu sein.
Demonstration gegen die Schließung der Militärschule |
Mehr
erfreut als erschrocken stoße ich doch noch tatsächlich auf eine
kleine Demonstration, eine mittelgroße Traube Männer mit Schildern
und Parolen auf dem dreieckigen Platz unweit der Bahçeşehir
Universität. Ich frage eine neben mir stehende Studentin, sie
mustert mich kurz und seufzt bevor sie antwortet, dass die Männer
gegen den Regierungsbeschluss der Schließung der traditionsreichen
Kuleli-Militärschule protestieren. „...und natürlich gegen die
Regierung generell nach dem Putsch“. Eine handvoll Polizisten steht
unweit der Menge und beobachtet entspannt das Spektakel.
Am
späteren Nachmittag sehe ich eine weitere Demonstration von
Feministinnen, die für ihre Rechte am Hafen von Kadiköy kämpfen –
ein vertrautes Bild von früher. Während ich durch die Gassen von
Kadiköy, mit seinen Restaurants, Teestuben, vorbei an Musikern
flaniere, fallen mir meine Interviews der letzten Jahren ein, die ich
hier mit wildfremden Menschen geführt habe. Von den Männergrüppchen,
die bei Tee und Zigarette oder Wasserpfeife lautstarke Debatten
führen, ist nichts zu sehen. Ich erinnere mich an Konfrontationen
und Meinungsverschiedenheiten zwischen Menschen, die in Diskussionen
ausgetragen wurden. Wenn heute Menschen demonstrieren, scheint es
ohne Antwort zu bleiben, ein Ruf, der verhallt.
Angler auf der Galatabrücke |
Bei
einem anderen Spaziergang den Bosporus entlang fällt mein Blick auf
die Köderdose von einem Fischer. Auf dem Deckel ist das Logo der AK
Partisi mit hellblauem Hintergrund gedruckt. Es tröstet mich, dass
die Fische nicht anzubeißen scheinen, als ich seine magere Ausbeute
betrachte.
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