Donnerstag, 8. Dezember 2016

Istanbul: ein bisschen stiller als sonst

JS. Istanbul Irgendetwas sagt mir, dem netten Herren von der Passkontrolle vom Flughafen Atatürk auf die Frage nach der Profession nicht mit meiner schreibenden Tätigkeit zu antworten, sondern bescheiden-verlogen auf den Nebenjob im Museum auszuweichen. Im Hotelzimmer lese ich online ein bisschen später von Akin Atalays Verhaftung direkt auf dem Rollfeld vom Atatürk Airport. Ich frage mich, ob er wohl mit mir in der Maschine saß, auch wenn mir nichts aufgefallen war. Es wird für mich das erste Mal in Istanbul seit 10 Jahren sein, in dem ich keine Interviews mit fremden Menschen in Teehäusern forciere, wie sonst eigentlich immer, sondern mich darauf beschränke, die Augen aufzuhalten.
Es ist ein warmer, sonniger Novembertag, weswegen ich im Tshirt von Beşiktaş aus nach Kabataş laufen kann. Am Platz bei der Bahçeşehir Universität drückt mir ein junger Mann eine Postkarte mit dem Porträt des Staatsgründers in die Hand, für eine Spende an behinderte Menschen. Die Allee am Dolmabahçe-Palast ist geschmückt mit großen wehenden Türkeiflaggen im Wechsel mit Atatürk, dessen Todestag letzte Woche gedacht wurde. Ich erinnere mich, dass ich in den letzten beiden Jahren die Präsenz des Gründervaters in der Öffentlichkeit vermisst hatte, stattdessen prangte damals das Porträt des Präsidenten an allen erdenklichen Orten. Atatürk fand man auf unglaublich vielen Bannern, mit denen Fenster verhängt wurden. Diese Protestform wurde unterbunden durch ein Verbot des Nachdrucks dieser Flaggen. Davon ist nichts mehr zu sehen. Das öffentliche Bild erinnert fast an die guten alten Zeiten, als der türkische Staatschef noch unser Freund war.
Abends auf dem Taksim
Abends laufe ich über den Taksimplatz. Die Bäume des Geziparks stehen noch genau so da, wie ich sie letztes Jahr noch gesehen hatte. Nur die Paletten mit Baumaterial versprechen Unheilvolles. Zwei Details unterscheiden sich allerdings fundamental zu früher: Der Taksimplatz war schon immer ein Ort emsigen Treibens: Familien schoben hier ihren Kinderwagen bepackt und genervt vom Einkauf durch die Gegend, junge Pärchen hielten kurz für ein Selfie vorm Denkmal inne, um dann schnell zum Lieblingscafé weiter zu eilen und ganz zu Schweigen von Touristentrauben, die wild fotografierend einer Elefantenherde gleichkamen. Anstelle dessen ist der Fluss des Treibens nahezu zum Stillstand gekommen, arabisch sprechende junge Männer schlagen hier die Zeit tot, sie wissen anscheinend nicht wohin und so drehen sie ihre Runden auf dem Platz. Die andere Tatsache ist noch verwunderlicher. Der Taksimplatz ist, solange ich denken kann, Paradeplatz polizeilicher Potenz. Normalerweise parken vor der Mauer gepanzerte Wasserwerfer und die Polizisten selber, häufig in großer Anzahl, sind imposant und vor allem schwer bewaffnet. Ich muss mich jetzt anstrengen überhaupt welche zu entdecken.
Zwischen Gezipark und Taksim-Denkmal ist ein Secondhand Bücher-Festival. Beim vollmundig prämierten besten türkischen Kaffee der Welt kehre ich ein. Der Chef lädt mich an seinen Tisch zum Kaffee ein. Normalerweise käme jetzt der übliche nette Smalltalk, wie ich ihn schon oft und gerne hier mache, aber auf die Antwort ob ich Amerikaner oder Brite sei, friert das Gesicht des Kaffeemanagers ein und er verfällt in Retrospektiven, wie schön früher das Verhältnis gewesen sei, viele Türken hätten deutsch gelernt, sein Chef zum Beispiel, den er ran winkt. Man hat sich noch weniger zu sagen als Smalltalk und das betrübt mich sehr.
Ich bin mir unsicher ob es mich freut, dass man auf der İstiklâl Caddesi kaum europäische Touristen in ihrer entlarvenden Funktionskleidung sieht. Die paar Mal Deutsch lassen sich an diesem Wochenende an einer Hand abzählen.
Vor dem Zubettgehen lese ich einen Artikel über die verhaftete Schriftstellerin Asli Erdoğan , deren Gesicht mir bekannt vorkommt. Am nächsten Morgen wache ich mit der Erinnerung auf, dass ich sie vor ein paar Jahren während des Studiums traf und einen Artikel über sie und die deutsche Publikation ihres Romans „Die Stadt mit der roten Pelerine“ schreiben durfte – die Erinnerung verfolgt mich den gesamten Vormittag.
Während meiner Mittagspause im Restaurant in Ortaköy, lasse ich meinen Blick durch die Gasse schweifen und dann trifft mich der Schlag: Ich habe bisher noch keinen kette rauchenden Opa im Teehaus inmitten vom Zeitungswust gesehen und werde ihn auch das gesamte Wochenende nicht zu sehen bekommen. Stattdessen hält sich jeder öffentlich bedeckt und macht sein Ding, scheint es mir. Mit diesem Gedanken registriere ich das Angebot an den Kiosken. Tatsächlich scheinen die vielen Zeitungen größtenteils durch Magazine über Sport, Mode und Gesundheit ersetzt worden zu sein.
Demonstration gegen die Schließung der Militärschule
Mehr erfreut als erschrocken stoße ich doch noch tatsächlich auf eine kleine Demonstration, eine mittelgroße Traube Männer mit Schildern und Parolen auf dem dreieckigen Platz unweit der Bahçeşehir Universität. Ich frage eine neben mir stehende Studentin, sie mustert mich kurz und seufzt bevor sie antwortet, dass die Männer gegen den Regierungsbeschluss der Schließung der traditionsreichen Kuleli-Militärschule protestieren. „...und natürlich gegen die Regierung generell nach dem Putsch“. Eine handvoll Polizisten steht unweit der Menge und beobachtet entspannt das Spektakel.
Am späteren Nachmittag sehe ich eine weitere Demonstration von Feministinnen, die für ihre Rechte am Hafen von Kadiköy kämpfen – ein vertrautes Bild von früher. Während ich durch die Gassen von Kadiköy, mit seinen Restaurants, Teestuben, vorbei an Musikern flaniere, fallen mir meine Interviews der letzten Jahren ein, die ich hier mit wildfremden Menschen geführt habe. Von den Männergrüppchen, die bei Tee und Zigarette oder Wasserpfeife lautstarke Debatten führen, ist nichts zu sehen. Ich erinnere mich an Konfrontationen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Menschen, die in Diskussionen ausgetragen wurden. Wenn heute Menschen demonstrieren, scheint es ohne Antwort zu bleiben, ein Ruf, der verhallt.
Angler auf der Galatabrücke
Bei einem anderen Spaziergang den Bosporus entlang fällt mein Blick auf die Köderdose von einem Fischer. Auf dem Deckel ist das Logo der AK Partisi mit hellblauem Hintergrund gedruckt. Es tröstet mich, dass die Fische nicht anzubeißen scheinen, als ich seine magere Ausbeute betrachte.

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