Samstag, 22. April 2017

Türkei, seni seviyorum

Kommentar.JS Die Liebe der Türken und Deutschen zueinander ist so alt, dass sie niemals zerbrechen wird - Diesen schönen Satz vom alten Bismarck muss man erst mal im historischen Kontext sehen, um ihn überhaupt ernst nehmen zu können. Zwischen Briten, Franzosen und Österreichern war das Osmanische Reich der einzige Akteur, den keinerlei Interessenskonflikte mit dem Deutschen Reich verbanden, Grund genug für Liebe, die sich mit Reminiszenzen an den deutschen Kaisers in Istanbul wiederfinden lässt.
Als mir mal am helllichten Tag die Bundeskanzlerin in ihrer Limousine kurz vor dem Kanzleramt beinahe über die Füße fuhr, saß neben ihr der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Solche Bilder dürften gegenwärtig rar sein. Nie war die europäisch-türkische Beziehung zerrütteter als nach dem Referendum zu Ostern.
Ernsthaft jetzt?
Der Tango zwischen der Türkei und Europa ist so alt wie die Europäische Union selber. Immer herrschte dabei eine Haltung wie gegenüber der Cousine mit der man gerne ins Bett möchte, aber sich nicht traut. Menschenrechte standen oft im Weg, aber auch jenseits davon waren die Vorbehalte groß: Kulturelle Unterschiede, die Wirtschaftsstrukturen, alles Gründe, die gegen einen EU-Beitritt sprachen. Loslassen wollte man aber nie. Ich erinnere mich an einen Satz in einer Podiumsdiskussion: „Ich weigere mich anzuerkennen, dass ein Land nur aufgrund des Islam die EU-Mitgliedschaft verweigert werden könnte.“ - soweit muss man dafür gar nicht gehen: Alle möglichen Länder treten der EU bei, Bulgarien, Rumänien, aber ein kleines muslimisches Land wie Bosnien bleibt da außen vor.
Aber nein, die Gründe für die Verweigerung eines türkischen EU-Beitritts erscheinen mir wesentlich profaner: 75 Millionen Türken auf 783.562 km², das wäre ein geographischer und demographischer Brocken, der im Gegensatz zu den ganzen Zwergstaaten enormes politisches Gewicht hätte. Außerdem ist es fragwürdig, ob man Länder wie Syrien, Iran und Irak an einer europäischen Grenzen haben möchte. Also lässt man die Türken zappeln mit privilegierter Partnerschaft und der vagen Hoffnung, doch eines Tages beitreten zu dürfen, bis auch der letzte Anatolier die Hinhaltetaktik bemerkt. Man müsste dem türkischen Staatspräsidenten das Kompliment dafür aussprechen, dass er es schafft, diese Posse zu beenden. Immerhin steht beispielsweise der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok kurz davor, Erdoğan den Stuhl vor die Tür zu stellen.
Dass Oberlehrerrhetorik aus Europa geradezu Dünger für Erdoğans Agenda ist, beweist nicht zuletzt das Referendum. Die türkische Resignation ist der Grund warum jedwede Agitation gegen Erdoğan die Enttäuschten in seine Arme treibt. Denn Erdoğan handelt im Gegensatz zur EU nach der Devise „nicht kleckern, klotzen“ und dafür ist ihm die türkische Bevölkerung zu großen Teilen sehr dankbar. Es erinnert mich an die Glorifizierung Adenauers im Nachkriegsdeutschland; man darf nicht vergessen, auch die Türkei hatte zu dem Zeitpunkt politisch wilde Jahrzehnte voller Militärputsche, Willkür, Korruption und nicht zuletzt brachliegender Wirtschaft hinter sich - unter Erdoğan erlebte die Türkei zeitweise traumhaftes Wirtschaftswachstum. Nun ist Erdoğan weder sonderlich visionär noch volkswirtschaftliches Wunderkind – selbst der akademische Abschluss ist nicht wasserfest – sondern er verwendet einen simplen Zaubertrick: Privatisierung und staatliche Verpflichtung auf Jahrzehnte durch Bombastikprojekte, wie die dritte Bosporusbrücke, der dritte Flughafen und Krankenhäuser ohne Ende - unrentable Prestigeprojekte die eine bestimmte Klientel zu Milliardären machte auf Kosten der türkischen Bevölkerung.
Angesichts der Goldgräberstimmung besteht natürlich auch weiterhin reges wirtschaftliches Interesse daran das System aufrecht zu erhalten. Mehr denn je ist das Land abhängig von Auslandsinvestitionen. Die deutsche industrie- und Handelskammer wiegelt ab und spricht von einem festen Fundament der Auslandsbeziehungen und verlässlichen Industriepartnern. Interessanterweise wird alles Werbewirksame aufgefahren um Investitionen schmackhaft zu machen, allein der Eindruck, dass Sauerbier angeboten wird, bleibt.
Garantiert nicht hilfreich dafür ist der Demokratieabbau spätestens seit den Gezi Park-Protesten um sich greift. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht von Verhaftungen von Oppositionellen, Journalisten, Juristen, Polizei und Militär berichtet wird. Insbesondere seit dem ominösen Putschversuch agiert der Staatspräsident außenpolitisch immer unsouveräner. Der gegenwärtige Ausnahmezustand wird dabei untermalt wird von der Despotenpauke. Erste Konsequenz auf den leicht schwefeligen Geruch nach Bürgerkrieg verspürt der türkische Tourismus, der immerhin 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufbringt. Ob da das allmähliche Tauwetter der russisch-türkischen Beziehungen die Einbußen wieder auffangen kann, bleibt fraglich.
Dies ist natürlich ein Feld, dass sich geradezu dafür eignet, den schwarzen Peter der westlichen Propaganda zuzuschieben. Dessen sollte sich auch die EU-Politiker bewusst sein. Immerhin lässt es sich nicht leugnen, dass die EU in der Vergangenheit über den potentiellen EU-Beitritt den vielleicht noch moderaten Erdoğan nach ihrer Pfeife tanzen ließ, aber ausgerechnet jetzt mit ihm als Despoten Verträge abschließt, aus Angst, er könne seine Schleusen für Flüchtlinge gen Europa öffnen, ein Druckmittel, das angesichts der Abwehr auf der Balkanroute und der Bedeutung für Erdoğan immer mehr an Kraft verliert. Um es platt zu sagen, der verunglückte Eiertanz des türkischen Staatspräsidenten den Flüchtlingen eine verminderte Form der Staatszugehörigkeit zu ermöglichen um sie als „Stimmvieh“ zu gewinnen, offenbart seine schwache Position und sollte die EU entspannter zurücklehnen lassen.
Tja, und jetzt dieses Referendum zur Änderung der türkischen Parlamentarischen Regierung in eine Präsidialsystem genannte One man-Show: Angesichts der verfassungsverletzenden Werbung des Präsidenten für diese Änderung, seiner Diffamierung von Nein-Wählern als Terroristen, der Bombardierung von kurdischen Oppositionshochburgen, Terroristenjagd genannt, der Einschüchterung und Bespitzelung der Türken im Ausland und nicht zu unterschlagen die mögliche Wahlmanipulation, die noch Raum steht – für all das sind 51,45 Prozent Zustimmung wahrlich eine magere Ausbeute!
Aber düsterem Blick schauen wir auf das kommende Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe. Europa sollte sich darüber im Klaren sein, dass der zukünftige Austausch mit dem türkischen Staatspräsidenten auf einem dünnen Drahtseil balanciert, wo auf der einen Seite die Appeasementpolitik durch Abbruch der Gespräche gegenüber einem demokratisch legitimierten Despoten lauert, der die Opposition mit allen Mitteln, möglicherweise dann auch mittels der Todesstrafe, zum Schweigen bringt. Auf der anderen Seite setzt Europa seine eh schon gestörte Glaubwürdigkeit beim türkischen Volk aufs Spiel, wenn sie mit ihrer Arroganz vermittelt, der türkische Präsident kämpfe um den Erhalt der türkischen Souveränität.
Um nichts in der Welt darf man die Türken diesem Kleptokraten überlassen! Um nichts in der Welt darf Europa zukünftig bei Gesprächen eine kritische Selbstreflexion außer Acht lassen, was diesem Mann in die Karten spielen würde. Wir sind durch die Entwicklung Europas mit unseren Wirtschaftsbeziehungen und Populisten schlechte Demokratieexporteure geworden, das nimmt uns keiner mehr ab!
Selbstreflexion – so könnte man die gegenwärtige Agenda der FAZ zum Abstimmungsergebnis der Türken in Deutschland bezeichnen. Drama, Baby! Die Integration sei gefloppt, so, so! Man mag von Claudia Roth halten was man will, aber ihre Rechnung ist einleuchtend: 4,5 Millionen türkischstämmige Menschen leben in Deutschland, davon sind 1,4 Millionen aufgrund ihres türkischen Passes wahlberechtigt, weniger die Hälfte, genauer 46 Prozent also rund 644.000 haben sich an dem Referendum beteiligt, davon haben 416.000 mit Ja gestimmt. Da sich die Frage der Integration auf alle Türkeistämmigen bezieht ist die Bilanz bezüglich Ja zur Demokratie und Freiheitsliebe mit einem Ergebnis unter 10 Prozent doch erfreulich.
Was man nicht vergessen sollte, Pauschalpalaver angesichts unserer Meinungsfreiheit wie die Verfügungen gegen jene türkischen Politiker, die im Vorfeld die Werbetrommel rühren wollten, unterstützen den Eindruck der Doppelmoral gegen die Türken. Drangsal innerhalb der türkischen Gemeinschaft in Deutschland gegen Oppositionelle, Einflüsterungen aus Ankara via DITIB, Bespitzelung, Druck und Drohung - all diese Methoden scheinen in der Debatte nicht berücksichtigt zu werden, dabei wäre es doch wichtig den Bedrohten schützend zur Seite zu stehen um so ein Zeichen gegen den Pöbel zu setzen. Anstelle die Deutschtürken für ihre Abstimmung zurück in die Türkei zu wünschen, lasst es Geldstrafen und Sozialdienste hageln für diejenigen, die Erdoğans Indoktrination gewaltsam ausbreiten wollen.
Als Erdoğan gegenüber CNN sagte „Ich bin sterblich, ich könnte jeden Moment sterben.“,spricht er ein wichtiges Problem an. Mit 63 Jahren und seinen eindrucksvollen cholerischen Ausbrüchen dürfte er abseits aller Krebsgerüchte die längste Zeit in Amt und Würden gewesen sein, um sein System aufrecht zu erhalten. „Das ist kein System, das Tayyip Erdoğan gehört.“ - doch, genau nichts Anderes ist es! Aber sind seine Abkömmlinge Manns genug, sein Erbe aufrecht zu erhalten – diese offen korrupte Brut? Quo vadis, Turcia – wenn es vermutlich nicht einmal einen Vorstoß der Opposition bräuchte, um das Kartenhaus aus Gier, Rücksichtslosigkeit und Gewalt zum Einsturz zu bringen. Als Partner auf Augenhöhe sollte sich die EU dann auf ihre Liebesdienste für die Türkei besinnen.

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