Kommentar.JS Die
Liebe der Türken und Deutschen zueinander ist so alt, dass sie
niemals zerbrechen wird - Diesen schönen Satz vom alten
Bismarck muss man erst mal im historischen Kontext sehen, um ihn
überhaupt ernst nehmen zu können. Zwischen Briten, Franzosen und
Österreichern war das Osmanische Reich der einzige Akteur, den
keinerlei Interessenskonflikte mit dem Deutschen Reich verbanden,
Grund genug für Liebe, die sich mit Reminiszenzen an den deutschen
Kaisers in Istanbul wiederfinden lässt.
Als mir mal am helllichten Tag die
Bundeskanzlerin in ihrer Limousine kurz vor dem Kanzleramt beinahe
über die Füße fuhr, saß neben ihr der türkische Staatspräsident
Recep Tayyip Erdoğan. Solche Bilder dürften gegenwärtig rar sein.
Nie war die europäisch-türkische Beziehung zerrütteter als nach
dem Referendum zu Ostern.
Ernsthaft jetzt?
Der Tango zwischen der Türkei und
Europa ist so alt wie die Europäische Union selber. Immer herrschte
dabei eine Haltung wie gegenüber der Cousine mit der man gerne ins
Bett möchte, aber sich nicht traut. Menschenrechte standen oft im
Weg, aber auch jenseits davon waren die Vorbehalte groß: Kulturelle
Unterschiede, die Wirtschaftsstrukturen, alles Gründe, die gegen
einen EU-Beitritt sprachen. Loslassen wollte man aber nie. Ich
erinnere mich an einen Satz in einer Podiumsdiskussion: „Ich
weigere mich anzuerkennen, dass ein Land nur aufgrund des Islam die
EU-Mitgliedschaft verweigert werden könnte.“ - soweit muss man
dafür gar nicht gehen: Alle möglichen Länder treten der EU bei,
Bulgarien, Rumänien, aber ein kleines muslimisches Land wie Bosnien
bleibt da außen vor.
Aber nein, die Gründe für die
Verweigerung eines türkischen EU-Beitritts erscheinen mir wesentlich
profaner: 75 Millionen Türken auf 783.562 km², das wäre ein
geographischer und demographischer Brocken, der im Gegensatz zu den
ganzen Zwergstaaten enormes politisches Gewicht hätte. Außerdem ist
es fragwürdig, ob man Länder wie Syrien, Iran und Irak an einer
europäischen Grenzen haben möchte. Also lässt man die Türken
zappeln mit privilegierter Partnerschaft und der vagen Hoffnung, doch
eines Tages beitreten zu dürfen, bis auch der letzte Anatolier die
Hinhaltetaktik bemerkt. Man müsste dem türkischen Staatspräsidenten
das Kompliment dafür aussprechen, dass er es schafft, diese Posse zu
beenden. Immerhin steht beispielsweise der CDU-Europaabgeordnete
Elmar Brok kurz davor, Erdoğan den Stuhl vor die Tür zu stellen.
Dass Oberlehrerrhetorik
aus Europa geradezu Dünger für Erdoğans Agenda ist, beweist nicht
zuletzt das Referendum. Die türkische Resignation ist der Grund
warum jedwede Agitation gegen Erdoğan die Enttäuschten in seine
Arme treibt. Denn Erdoğan handelt im Gegensatz zur EU nach der
Devise „nicht kleckern, klotzen“ und dafür ist ihm die türkische
Bevölkerung zu großen Teilen sehr dankbar. Es erinnert mich an die
Glorifizierung Adenauers im Nachkriegsdeutschland; man darf nicht
vergessen, auch die Türkei hatte zu dem Zeitpunkt politisch wilde
Jahrzehnte voller Militärputsche, Willkür, Korruption und nicht
zuletzt brachliegender Wirtschaft hinter sich - unter Erdoğan
erlebte die Türkei zeitweise traumhaftes Wirtschaftswachstum. Nun
ist Erdoğan weder sonderlich visionär noch volkswirtschaftliches
Wunderkind – selbst der akademische Abschluss ist nicht wasserfest
– sondern er verwendet einen simplen Zaubertrick: Privatisierung
und staatliche Verpflichtung auf Jahrzehnte durch Bombastikprojekte,
wie die dritte Bosporusbrücke, der dritte Flughafen und
Krankenhäuser ohne Ende - unrentable Prestigeprojekte die eine
bestimmte Klientel zu Milliardären machte auf Kosten der türkischen
Bevölkerung.
Angesichts der
Goldgräberstimmung besteht natürlich auch weiterhin reges
wirtschaftliches Interesse daran das System aufrecht zu erhalten.
Mehr denn je ist das Land abhängig von Auslandsinvestitionen. Die
deutsche industrie- und Handelskammer wiegelt ab und spricht von
einem festen Fundament der Auslandsbeziehungen und verlässlichen
Industriepartnern. Interessanterweise wird alles Werbewirksame
aufgefahren um Investitionen schmackhaft zu machen, allein der
Eindruck, dass Sauerbier angeboten wird, bleibt.
Garantiert nicht
hilfreich dafür ist der Demokratieabbau spätestens seit den Gezi
Park-Protesten um sich greift. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht von
Verhaftungen von Oppositionellen, Journalisten, Juristen, Polizei und
Militär berichtet wird. Insbesondere seit dem ominösen
Putschversuch agiert der Staatspräsident außenpolitisch immer
unsouveräner. Der gegenwärtige Ausnahmezustand wird dabei untermalt
wird von der Despotenpauke. Erste Konsequenz auf den leicht
schwefeligen Geruch nach Bürgerkrieg verspürt der türkische
Tourismus, der immerhin 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
aufbringt. Ob da das allmähliche Tauwetter der russisch-türkischen
Beziehungen die Einbußen wieder auffangen kann, bleibt fraglich.
Dies ist natürlich ein
Feld, dass sich geradezu dafür eignet, den schwarzen Peter der
westlichen Propaganda zuzuschieben. Dessen sollte sich auch die
EU-Politiker bewusst sein. Immerhin lässt es sich nicht leugnen,
dass die EU in der Vergangenheit über den potentiellen EU-Beitritt
den vielleicht noch moderaten Erdoğan nach ihrer Pfeife tanzen ließ,
aber ausgerechnet jetzt mit ihm als Despoten Verträge abschließt,
aus Angst, er könne seine Schleusen für Flüchtlinge gen Europa
öffnen, ein Druckmittel, das angesichts der Abwehr auf der
Balkanroute und der Bedeutung für Erdoğan immer mehr an Kraft
verliert. Um es platt zu sagen, der verunglückte Eiertanz des
türkischen Staatspräsidenten den Flüchtlingen eine verminderte
Form der Staatszugehörigkeit zu ermöglichen um sie als „Stimmvieh“
zu gewinnen, offenbart seine schwache Position und sollte die EU
entspannter zurücklehnen lassen.
Tja, und jetzt dieses
Referendum zur Änderung der türkischen Parlamentarischen Regierung
in eine Präsidialsystem genannte One man-Show: Angesichts der
verfassungsverletzenden Werbung des Präsidenten für diese Änderung,
seiner Diffamierung von Nein-Wählern als Terroristen, der
Bombardierung von kurdischen Oppositionshochburgen, Terroristenjagd
genannt, der Einschüchterung und Bespitzelung der Türken im Ausland
und nicht zu unterschlagen die mögliche Wahlmanipulation, die noch
Raum steht – für all das sind 51,45 Prozent Zustimmung wahrlich
eine magere Ausbeute!
Aber düsterem Blick
schauen wir auf das kommende Referendum über die Wiedereinführung
der Todesstrafe. Europa sollte sich darüber im Klaren sein, dass der
zukünftige Austausch mit dem türkischen Staatspräsidenten auf
einem dünnen Drahtseil balanciert, wo auf der einen Seite die
Appeasementpolitik durch Abbruch der Gespräche gegenüber einem
demokratisch legitimierten Despoten lauert, der die Opposition mit
allen Mitteln, möglicherweise dann auch mittels der Todesstrafe, zum
Schweigen bringt. Auf der anderen Seite setzt Europa seine eh schon
gestörte Glaubwürdigkeit beim türkischen Volk aufs Spiel, wenn sie
mit ihrer Arroganz vermittelt, der türkische Präsident kämpfe um
den Erhalt der türkischen Souveränität.
Um nichts in der Welt
darf man die Türken diesem Kleptokraten überlassen! Um nichts in
der Welt darf Europa zukünftig bei Gesprächen eine kritische
Selbstreflexion außer Acht lassen, was diesem Mann in die Karten
spielen würde. Wir sind durch die Entwicklung Europas mit unseren
Wirtschaftsbeziehungen und Populisten schlechte Demokratieexporteure
geworden, das nimmt uns keiner mehr ab!
Selbstreflexion – so
könnte man die gegenwärtige Agenda der FAZ zum Abstimmungsergebnis
der Türken in Deutschland bezeichnen. Drama, Baby! Die Integration
sei gefloppt, so, so! Man mag von Claudia Roth halten was man will,
aber ihre Rechnung ist einleuchtend: 4,5 Millionen türkischstämmige
Menschen leben in Deutschland, davon sind 1,4 Millionen aufgrund
ihres türkischen Passes wahlberechtigt, weniger die Hälfte, genauer
46 Prozent also rund 644.000 haben sich an dem Referendum beteiligt,
davon haben 416.000 mit Ja gestimmt. Da sich die Frage der
Integration auf alle Türkeistämmigen bezieht ist die Bilanz
bezüglich Ja zur Demokratie und Freiheitsliebe mit einem Ergebnis
unter 10 Prozent doch erfreulich.
Was man nicht vergessen
sollte, Pauschalpalaver angesichts unserer Meinungsfreiheit wie die
Verfügungen gegen jene türkischen Politiker, die im Vorfeld die
Werbetrommel rühren wollten, unterstützen den Eindruck der
Doppelmoral gegen die Türken. Drangsal innerhalb der türkischen
Gemeinschaft in Deutschland gegen Oppositionelle, Einflüsterungen
aus Ankara via DITIB, Bespitzelung, Druck und Drohung - all diese
Methoden scheinen in der Debatte nicht berücksichtigt zu werden,
dabei wäre es doch wichtig den Bedrohten schützend zur Seite zu
stehen um so ein Zeichen gegen den Pöbel zu setzen. Anstelle die
Deutschtürken für ihre Abstimmung zurück in die Türkei zu
wünschen, lasst es Geldstrafen und Sozialdienste hageln für
diejenigen, die Erdoğans Indoktrination gewaltsam ausbreiten wollen.
Als Erdoğan gegenüber
CNN sagte „Ich bin sterblich, ich könnte jeden Moment
sterben.“,spricht er ein wichtiges Problem an. Mit 63 Jahren und
seinen eindrucksvollen cholerischen Ausbrüchen dürfte er abseits
aller Krebsgerüchte die längste Zeit in Amt und Würden gewesen
sein, um sein System aufrecht zu erhalten. „Das ist kein System,
das Tayyip Erdoğan gehört.“ - doch, genau nichts Anderes ist es!
Aber sind seine Abkömmlinge Manns genug, sein Erbe aufrecht zu
erhalten – diese offen korrupte Brut? Quo vadis, Turcia – wenn es
vermutlich nicht einmal einen Vorstoß der Opposition bräuchte, um
das Kartenhaus aus Gier, Rücksichtslosigkeit und Gewalt zum Einsturz
zu bringen. Als Partner auf Augenhöhe sollte sich die EU dann auf
ihre Liebesdienste für die Türkei besinnen.
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